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TAIWANS PRÄSIDENT INSTRUMENTALISIERT ÄNGSTE VOR CHINARisiko Demokratie

Vergleicht man die weltpolitische Lage heute mit der Zeit vor den taiwanesischen Präsidentschaftswahlen in den Jahren 1996 und 2000, so dürfte die bevorstehende Wahl auf der Insel mit ihren nur 23 Millionen Einwohnern international kaum für Aufregung sorgen. Tatsächlich haben die um Taiwans Gunst ringenden Großmächte China und USA viel gelernt. Statt wie 1996 Raketenmanöver rund um die Insel abzuhalten, unternimmt Peking heute nichts, was den Wählern auf Taiwan Angst vor der Urne einjagen soll. Ebenso haben die Amerikaner dazugelernt. Während sie im Jahr 2000 noch darüber stritten, ob China als Freund oder Feind anzusehen sei, hat sich Washingtons Verhältnis zu Peking seither merklich entspannt. So lässt sich heute zwischen beiden Hauptstädten ohne gegenseitiges Misstrauen über Taiwan reden. Beide Seiten zweifeln nicht mehr am gemeinsamen Ziel, den Status quo der Insel zu erhalten.

Das allein würde anderswo genügen, ein kleines Land wie Taiwan aus der Weltpolitik zu verdrängen. Doch das Gegenteil trifft zu. Die Großmächte können tun und lassen, was sie wollen – Taiwan schafft es im Alleingang, die Welt mit seinem Schicksal zu beschäftigen. Der Grund dafür: Taiwan ist eine Demokratie, und China, das Taiwan nach wie vor als eigene Provinz betrachtet, ist eine Diktatur. Die Demokratie aber gehorcht keinem Großmachtkalkül, und sei es noch so weitsinnig – auch auf Taiwan nicht. Und so darf es nicht verwundern, dass der amtierende taiwanesische Präsident Chen Shui-bian, dem die Umfragen eine Wahlniederlage vorhersagen, alles auf eine Karte setzt, um die Wahl doch noch zu gewinnen.

Chens Karte heißt Souveränität – ein Codewort für Taiwans Unabhängigkeit. Damit führt Chen seinen Wahlkampf mehr gegen Peking als gegen die eigene Opposition. Mit einen Referendum am Wahltag will er die Bevölkerung überreden, sich gegen die chinesische Militärbedrohung für den Fall einer taiwanesischen Unabhängigkeitserklärung zu wenden. „Stimmen Sie zu, dass Taiwan mehr moderne Antiraketensysteme braucht?“ lautet die Kernfrage des Referendums. So sollen diejenigen, die für mehr Waffen gegen China sind, am Wahltag gleich für Chen stimmen. Die Strategie scheint aufzugehen. Mehr als eine Million Demonstranten brachten die Wahlhelfer Chens, allen voran Expräsident Lee Teng-hui, am Samstag gegen die chinesische Militärbedrohung auf die Straße. Demokratie macht die Welt eben dort nicht auf Anhieb sicherer, wo sie noch zu großen Teilen diktatorisch regiert wird. Der Westen muss sich dieses Risikos nicht nur im Irak bewusst werden. GEORG BLUME

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