: Thais gegen Thais
Das Urteil des Verfassungsgerichtes dürfte die Spannungen zwischen den rivalisierenden Lagern noch verschärfen
AUS BANGKOK NICOLA GLASS
Jubel brandete auf bei den Besetzern der Flughäfen, den Mitgliedern der sogenannten Volksallianz für Demokratie (PAD). „Wir haben gesiegt!“, riefen die mehreren tausend Protestler, tanzten und schwenkten die thailändische Nationalfahne. Soeben hatte das Verfassungsgericht in Bangkok verkündet, dass die regierende PPP wegen Wahlbetrugs und Verstoßes gegen Wahlgesetze aufgelöst wird. Dutzende Spitzenfunktionäre der PPP, darunter Premier Somchai Wongsawat, werden für fünf Jahre aus der Politik verbannt. Auch zwei weitere Parteien, Koalitionspartner der PPP, wurden verboten.
„Unredliche Parteien dürfen das demokratische System nicht untergraben“, so die Richter. Bei den Regierungsanhängern sorgte der Urteilsspruch für Frust und Betretenheit. Während der geschasste Premier Somchai den richterlichen Bescheid akzeptierte, gaben sich Parteifreunde kämpferisch: „Wir werden uns halt unter dem Banner einer neuen Partei versammeln“, so PPP-Mitglied Jatuporn Prompan, „und wir werden über die Wahl eines neuen Premiers bis zum 8. Dezember abstimmen.“
Mit dem Urteil des Verfassungsgerichts ist der schwelende Konflikt zwischen Anhängern und Gegnern der Regierung nicht aus der Welt geschafft. Bei der PPP, die sich überwiegend aus Anhängern des 2006 vom Militär gestürzten Premiers Thaksin Shinwatra zusammensetzt, könnte die Frustration in Wut umschlagen. Das Ganze erscheint ihnen wie ein Déjà-vu-Erlebnis vom Mai 2007. Damals war nämlich die PPP-Vorgänger-Partei „Thais lieben Thais“ (TRT) ebenfalls verboten und 111 Spitzenfunktionäre waren für fünf Jahre aus der Politik verbannt worden. Die TRT wurde einst von Thaksin Shinawatra gegründet, dem Telekommunikationstycoon und Expremier, den das Militär im September 2006 gestürzt hatte.
In diesem Kampf zweier Lager geht es um Macht, Privilegien und die Abrechnung mit politischen Rivalen. Die „Volksallianz für Demokratie“ ist eine außerparlamentarische Opposition, sie wird gedeckt von einer konservativen Elite aus Angehörigen des Militärs, Technokratie sowie Ober- und Mittelschicht. Die PAD propagiert eine „neue Politik“, die eher auf ernannte denn auf gewählte Volksvertreter setzt. Faktisch bedeutet das: Das System „ein Wähler, eine Stimme“ würde damit abgeschafft. „Dies ist keine neue, sondern eine sehr alte Politik in Thailand“, kommentiert der politische Experte Chris Baker. Zur Begründung heiße es immer wieder: Das Land sei nicht reif für diese Art westlicher Demokratie, so Baker: „Und das impliziert, dass bestimmte Leute mehr Rechte haben als andere.“
Genau mit jenem System „ein Wähler, eine Stimme“ war 2001 Thaksin Shinawatra an die Macht gekommen. Gewählt hatten ihn die Reisbauern im Norden und Nordosten. Thaksin versprach den Armen Kredite und baute die Infrastruktur in den Dörfern aus. Das geschah, um seine Machtbasis zu sichern und um die konservative Elite herauszufordern. Ansonsten hatte Expremier Thaksin nicht viel von demokratischen Prinzipien gehalten: Seine knapp siebenjährige Regierungszeit zeichnete sich durch massive Menschenrechtsverletzungen aus. In dem 2003 von ihm initiierten „Krieg gegen die Drogen“ wurden mindestens 2.300 Menschen ermordet – die meisten davon Unschuldige. Und seine harte Hand gegen die muslimische Minderheit im tiefen Süden machte ihn in der Region verhasst.
Nach dem Entscheid des Verfassungsgerichts sprechen PPP-Anhänger von einem „Putsch durch die Justiz“. Ganz von der Hand zu weisen ist das Urteil jedoch nicht. Denn im Wahlkampf 2007 hatte sich der damalige PPP-Spitzenkandidat und mittlerweile ebenfalls per Gerichtsbeschluss entlassene Expremier Samak Sundaravej öffentlich als „Thaksins Mann“ bezeichnet. Laut Wahlgesetz aber ist eine „Stellvertreterwahl“ verboten. Unklar ist, warum die Autoritäten nicht schon damals eingriffen und die PPP von der Wahl ausschlossen. Fest steht nur eines: Das Urteil des Verfassungsgerichts gießt zusätzlich Öl ins Feuer. Entspannung dürfte lediglich an den Flughäfen in Sicht sein, nachdem die PAD versprochen hat, die Areale zu räumen.
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