Ali bezahlt den Papst

Arbeitslosen wird die Kirchensteuer von der Stütze abgezogen - auch wenn sie keiner oder einer anderen Religionsgemeinschaft angehören

Obwohl die Zahl der Kirchenaustritte seit zwanzig Jahren steigt, nimmt die Kirche mehr Steuern ein

VON MIRIAM BUNJES

Mahir Y. ist fassungslos, wenn er in die Abrechnungsauflistung seines Arbeitslosengeldes schaut. Sieben Prozent zieht ihm das Bochumer Arbeitsamt monatlich vom Lohn ab – Kirchensteuer für eine Kirche, der Mahir Y. gar nicht angehört. Unfassbar findet das auch der Bochumer SPD-Politiker Serdar Yüksel. „Das ist für Niedrigverdiener eine ganze Menge Geld“, sagt Yüksel. „Vor allem haben sie selber überhaupt nichts davon.“ An den Gemeinderatswahlen dürfen diese Christensteuerpflichtigen nämlich trotzdem nicht teilnehmen: Sie sind schließlich keine Mitglieder – nur Spender.

„Der Abzug der Kirchensteuer wird hier unabhängig von einer Konfessionszugehörigkeit berücksichtigt, da er bei der Mehrheit der Arbeitnehmer anfällt“, liest eine Mitarbeiterin des Bochumer Arbeitsamts vor. Mehr gibt es dazu für das Amt nicht zu sagen. Schließlich ist diese Handhabe bundesweiter Usus, eine steuerrechtliche Vorschrift, untermauert von einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Serdal Yüksel will trotzdem dagegen kämpfen: „Die Freiheit des Individuums wird durch diese Regelung mit den Füßen getreten“, sagt der Kommunalpolitiker. „Jeder Mensch muss selbst entscheiden können, welche Religionsgemeinschaft er unterstützen will.“

Muss er nicht, hatte das Bundesverfassungsgericht 1992 beschlossen. „Es zählt die konfessionelle Gebundenheit des durchschnittlichen Unterstützungsempfängers“, da diese pauschale Betrachtung den Arbeitsamts- und Steuerbehörden eine Menge Verwaltungsaufwand erspart.

Das tut sie fast zwölf Jahre nach dem Urteil immer noch. Für die Kirchen rechnet sich die Wirtschaftsflaute sogar: Obwohl der Trend zum Austritt seit zwanzig Jahren ungebrochen ist, sind die Einnahmen aus den Kirchensteuern zuletzt wieder gestiegen – im vergangenen Jahr um mehr als einen halben Prozentpunkt. „Bei viereinhalb Millionen Arbeitslosen lässt sich die Rechnung da sehr einfach aufschlüsseln“, sagt Yüksel. Er will den Bochumer Bundestagsabgeordneten Axel Schäfer für die Sache einspannen und auch von Bochum aus Druck gegen die behördliche Handhabe machen.

Seine Chancen stehen dabei gar nicht schlecht, sagt der Münsteraner Steuerrechtler Rainer Wernsmann. „Im entsprechenden Urteil wird deutlich darauf hingewiesen, dass dieser pauschale Einzug unbegrenzt fortgeführt werden darf“, sagt der Jurist. „Er hängt schließlich von den demographischen Gegebenheiten ab.“

Und die haben sich seit 1992 enorm verändert: Fast 86 Prozent der Einwohner Deutschlands gehörten Anfang der 90er einer Kirche an – heute sind es nur noch knapp 64 Prozent. „Diese 36 Prozent Anders- oder Nichtgläubiger sind keine zu vernachlässigende Minderheit mehr“, sagt Steuerrechtler Wernsmann. „Eine Klage gegen die pauschale Besteuerung von Sozial- und Arbeitsersatzleistungen hat deshalb gute Aussichten auf Erfolg.“