steffen grimberg: Wenn T-Shirts Trauer tragen
Die TV-Branche sagt ihre wichtigste Leistungsshow ab. Ein Nachruf auf die „Telemesse“, ein Stück gelebte Demokratie im deutschen Fernsehen
Wie würden Sie ein Unternehmen nennen, das einmal im Jahr gut 5.000 Menschen mit T-Shirts, Badezusätzen, Feinkost und Kleinelektrogeräten ausstattete, selbige durch atemberaubende Kulissen scheuchte, sein gesamtes Top-Management nebst ausgewählten Stars zu drei Tagen teurer, lähmender Langeweile vor ebendiesem Publikum verdonnerte – und rein gar nichts davon hatte? Richtig, RTL.
Oder meinetwegen auch ProSieben. Sat.1, RTL 2, Vox, Kabel 1. Sie bzw. ihre Unternehmenstöchter, die die alltäglichen zulässigen 228 Werbeminuten je Sender an die zahlende Kundschaft bringen, veranstalteten seit dem Jahr 2000 die „Telemesse“. Auf dem Papier war das eine Leistungsschau des Programmschaffens. In Wirklichkeit war es der letzte Rest gelebte Demokratie im deutschen Fernsehen. Noch nie war der Ausdruck „Werberahmenprogramm“ – auch ARD und ZDF waren mit dabei – wahrer als hier. Die TV-Häppchen, die zur „Telemesse“ als Ausblick auf die kommende Saison in den für ganze drei Tage erreichteten High-Tech-Theatern geboten wurden, waren die Beikost. Die Kaffeepause wurde zum Event an sich. Nur bei Sat.1 ging man wirklich gern hin, denn da gab’s Martin Hoffmann – und Harald Schmidt.
Und es waren natürlich nicht die Entscheider der großen Agenturen und der werbetreibenden Industrie, die sich um die Präsenttüten balgten. Sondern ihre kleinen Angestellten auf so etwas wie einem halboffiziellen Betriebsausflug, dazu hunderte JournalistInnen und ein von Jahr zu Jahr anschwellender Tross von Nassauern, die irgendwie reingekommen waren – kurzum: ein gutes Stück ganz normales Fernsehpublikum.
Am Wochenende hat das deutsche Privatfernsehen die Telemesse 2004 abgesagt. Wegen „Verwässerung des Publikums“ und weil sich, wie es gestern hieß, „das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Telemesse immer problematischer“ darstellte.
Ach. Und wo krieg ich in diesem Jahr neue T-Shirts her?
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