peter unfried über Charts: Beim Sponsel in Muggendorf
Unkonventionelle Lebensentscheidungen (II): Statt San Francisco diesmal Urlaub in der Fränkischen Schweiz
„Okay, Kinder. Alle mal herkommen. Urlaub. Kihindeeeer. He!“
Sehr viel später.
Einzug der Kinder.
Kind 1: „Nach Amerika?“
Kind 2: „Nach Mallorca?“
„Äh, nein. Nach Muggendorf.“
Geschrei. Auszug der Kinder.
Wie? Mal wieder typisch: Kennen sie nicht, wollen sie nicht. Undankbares Pack. Wegen wem fährt man denn da hin?
„Wir wären mit 2 und 4 froh gewesen, wenn wir mal nach Muggendorf gekonnt hätten.“
*
Die Fränkische Schweiz. Verschluchtete Natur zwischen Nürnberg, Bamberg und Bayreuth. Fluss und Tal. Burgen, Wiesen, Felsen, Heimatpflege. Campingplätze, Kanus, Kletter-Biwaks. Aura der Vergangenheit. Aufsehen erregende Knochenfunde ausgestorbener Tierarten. Manch unsterblicher Romantiker schwärmt noch heute davon, so natürlich ist es dort.
Selbstverständlich wäre man da früher nicht hin. Niemals. Griechenland, Indien, später USA bzw. Südamerika. London, Prag, Budapest und natürlich immer gern genommen: New York. Getrieben vom Trauma der Kindheit – verfluchtes Südtirol!
Aber: In San Francisco war es letztes Mal richtig nervig mit den Kindern. Deshalb jetzt mal ein Ökobauernhof. Pony Mäxl. Ziege Klara. Oma „Oma“. Hund Boris. Speziell der Boris ist ein ganz Netter. Sollen die mal draußen mit dem rumrennen, hat man ja mal zehn Minuten Ruhe.
Ehrlich gesagt: So schlimm ist das alles gar nicht. Und eine Tischtennisplatte gibt es auch.
*
Jeden Nachmittag und jeden Abend geht man in der Fränkischen Schweiz in einen Gasthof. Mittags isst man Schweinebraten mit Klos und Rotkraut, 6,20 Euro. Abends isst man Schäuferle mit Klos und Rotkraut, 7,50 Euro. Schäuferle ist ein riesiges Stück Schweinefleisch an Knochen, Klos ist ein riesiger Kartoffelknödel und schreibt sich wirklich so. Das Zwickl-Bier kommt ab 1,60 Euro den halben Liter. Die Kinder kriegen nur Klos mit Soß, 2.40 Euro. Der größte Spaß ist immer die Rechnung.
„Hihi: ein Bier für drei Mark!“
Großer Erlebniswert! Man kann tagelang über das optimale Preis-Leistungs-Verhältnis der Fränkischen Schweiz reden. Ja, man muss es sogar.
Nach der Wanderung auf die Burgruine Neideck nimmt man übrigens beim Sponsel in Muggendorf noch einen Streitberger Kräuterschnaps mit und kehrt mittags in Trainmeusel ein. Hallo, gute Wirtsfrau.
„Zwickl, Fanta und einen Klos mit Soß, bitte.“
„Ja, soll ich jetzt wegen einem Klos einen Klos kochen?“
Ja, die Menschen haben sich bei allem Mühen um den Erlebniswert ihrer Region etwas Eigenes, Unkorrumpiertes bewahrt. Man möchte sagen: Auch das hat etwas Natürliches.
*
Die Burgruine (statt Klos dann Fränkische Brotzeit), die Wallfahrtskirche von Gößweinstein (Schweinebraten), die Höhlen und die Sommerrodelbahn in Pottenstein (Schäuferle): Alles scheint ein bisschen, als würde man in seiner Modelleisenbahnlandschaft von früher Urlaub machen. Deshalb ist ja auch der Metadiskurs so wichtig: Nicht nur drüber reden, dass es für die eigenen Kinder das Beste ist, sondern ständig Distinktionsgewinn anstreben. Manifestieren, wie anders sich das alles doch anfühlt im Vergleich zu dem, was man als Kind mit den Eltern machen musste. Dieses „gleichzeitige Gefühl des Horizontalen und Vertikalen“, das einen in diesem „klaren Landstrich“ befällt. Dieser „spezielle Charme“, der sich erschließt, wenn man die erste, vordergründige Schicht der Provinz überwunden hat.
*
Spätestens am dritten Tag geht man durch Täler und Pfarrdörfer – und hat doch längst aufgehört, sich zu bewegen. Hinter dem Hügel ist nichts mehr. Und wenn, ist es auch egal. Der anmutige Lauf des Flüsschens, die bizarren Felswände, das ganze Fleisch, die riesigen Klöse, das original fränkische Bier: Eine erstaunliche Gleichmütigkeit legt sich schnell über alles, vor allem über das Gehirn. So verschwinden alle Skrupel und Schuldgefühle und diese ganze verdammte zivilisatorische Unruhe. Die Kinder sowieso. Allein die Verdauung erinnert bisweilen daran, dass auch der schönste Zustand nicht endlos währen kann.
Fragen zu Charts? kolumne@taz.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen