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Die Liebe der Nonnen

Katholizismus mit doppeltem Boden: Cornelia Schleime malt Nonnen sinnlich, den Papst ironisch, und wie zur Strafe für zu viel Genuss ist die Schönheit vom Verfall angenagt. Kürzlich wurde der Malerin der Gabriele-Münter-Preis verliehen, demnächst bekommt sie den Fred-Thieler-Preis. Ein Porträt

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Der Papst küsst gerne kleine Kinder. Das ist ein öffentlichkeitswirksames Motiv, ein sehr konventionelles Ritual und Projektionsfläche für Fantasien. Die Kinder, die sich ihrer Sexualität noch nicht bewusst sein sollen, und der Papst, der seine Sexualität überwunden hat: weil man weiß, dass man beiden Behauptungen als Fiktionen misstrauen muss, ist das Motiv immer ein wenig aufgeladen. Aber das hat wohl mehr Bildjournalisten beschäftigt, die über Papstbesuche berichten, als dass es Thema der Kunst gewesen wäre.

Bis Cornelia Schleime 2003 mit ihren Papstbildern kam. Da nähern sich im Bild „Kann denn spielen Sünde sein“ Papst Wojtyła und ein kleines Mädchen mit gespitzten Lippen vor einem roten Bildgrund, über den helle Punkte wie Seifenblasen treiben. Poppig ist diese Bildfläche, wie eine Werbung für süßen Zwieback; die Farbe in den Gesichtspartien wirkt allerdings auch angefressen wie von Säure. Fast jeder, der über die Papstbilder schrieb, äußerte zunächst Verwunderung: Warum malt Cornelia Schleime, die für Frechheit, Witz und kesse Erotik bekannt ist, nun ausgerechnet die oberste Autorität der Katholiken?

Die Erklärung folgte auf dem Fuß: Cornelia Schleime, 1953 in Ostberlin geboren, berichtet von einer verheimlichten katholischen Erziehung während ihrer Kindheit in der DDR. In der Schule musste sie den Weg in die Kirche verschweigen; in der Kirche, dass die Eltern den Glauben nicht besonders ernst nahmen. Eine wunderbare Grundausbildung in Schizophrenie und Scheinheiligkeit.

So ist das oft bei Cornelia Schleime. Es gibt fast immer einen biografischen Kontext, der scheinbar alle Fragen beantwortet. Doch vielleicht ist auch das nur ein Teil ihres Spiels. Denn die Attraktivität ihrer Kunst macht immer auch ein Überschuss an Unsinn aus, ein wenig Überdrehung. Damit bringt sie nicht selten Bewegung in ein Feld kollektiver Bilder, das bis dahin schon ziemlich abgestanden wirkte.

Ihr wirksamster Coup gelang ihr Anfang der Neunzigerjahre mit der Stasi-Serie „Bis auf weitere gute Zusammenarbeit“. Die Künstlerin, die 1984 nach Westberlin übergesiedelt war, aus Frust über die Provinzialität der DDR und von Ausstellungsverboten eingeschränkt, stellte die Berichtsbögen ihrer Beobachter für die Stasi aus. Wie dort aus Feststellungen wie „Die Ermittelte besitzt kein Kraftfahrzeug und auch kein Grundstück“ Verdachtsmomente wurden, war die denkbar beste Karikatur staatlicher Paranoia. Cornelia Schleime montierte dazu Fotos auf die alten Akten, die sie selbst in surrealen Inszenierungen zeigte. Als Besitzerin eines amerikanischen Straßenkreuzers etwa, als Putzfrau, die einem Honeckerfoto zuprostet, oder auf einem Tisch des Staatsrats tanzend. Das hatte so gar nichts vom üblichen Leiden der Dissidenten. Schon dafür liebte man diese Künstlerin, dass sie der Pose des Heroismus, die so viele Künstler aus der DDR gefangen hielt, so leichtfüßig davontanzte.

Am 17. März erhält Cornelia Schleime den Fred-Thieler-Preis der Berlinischen Galerie, und schon Anfang des Jahres wurde sie mit dem Gabriele-Münter-Preis geehrt. Ein wenig wundert das schon. Der Gabriele-Münter-Preis wendet sich an Künstlerinnen, die älter als vierzig sind und bedingt durch Kinder und andere Verzögerungen ihres Berufslebens erst spät bekannt werden. Cornelia Schleime hat zwar Kinder, ihr Werk aber ist keineswegs im Verborgenen gediehen, sondern erfreut sich seit Ende der Achtzigerjahre regelmäßiger Aufmerksamkeit. Auch der Preis, den der Maler Fred Thieler gestiftet hat, soll Künstlern, die sich „abseits des aktuellen Marktgeschehens“ mühen, Anerkennung verschaffen. In diesem Abseits muss Cornelia Schleime aber zum Glück nicht agieren. Sie ist auf Kunstmessen wie dem Art Forum Berlin nicht nur vertreten, sondern hält da gerne auch ein wenig Hof, mit großen Hüten und auffallend gut gelaunt.

Sie kann es sich leisten, in ihren Bildern unterhaltsam zu sein und dekorativ; vielleicht, weil sie schon immer einem sentimentalen Kunstbegriff misstraute, der das Wahrhaftige wollte und mit Leiden erkaufte. Sie spielt dagegen mit einer Form von Malerei als Wunscherfüllung. Da gibt es zum Beispiel die Serie der großformatigen Nonnenporträts, die seit 1997 entstanden: Sie heißen „Sündenfall“, „Novizin“, „Die Exorzistin“ oder „Fanny“ und „Bernadette“. Wie sinnlich allein ein Mund sein kann, wie erotisch der Blick zweier Augen, wie verführerisch eine Haarsträhne, die unter der Haube hervorgerutscht ist, weiß man erst, wenn man diese Bilder gesehen hat. Plötzlich sieht man in diesen von der Ordenstracht gerahmten Gesichtern mehr Ausstrahlung als sonst in einem ganzen Aktbild. Und das ist in diesen pornografisch überschwemmten Zeiten eine bewundernswerte malerische Leistung.

Diese Bilder sind ganz Oberfläche, aber die Oberfläche ist nicht makellos. Seit langem mischt Cornelia Schleime Schellack in ihre Malmittel, der die Acrylfarbe angreift und zersetzt. Die Schönheit ist bei ihr immer vom Verfall angenagt, wie von der sie hinterrücks treffenden Rache des Hässlichen, – vielleicht auch als Strafe für zu viel Genuss.

Ebenso doppelbödig sind ihre Kinderbilder, die oft nach alten Fotografien entstanden. Sie sind Porträt ebenso sehr wie Projektionsfläche für Fantasien über Kinder, ihre Fremdheit und Dämonie. „Unsere Besten“ (2002) zum Beispiel zeigt drei Kinder über ihre Schulhefte gebeugt, mit viel Rosa und viel Braun in der Farbe, in der Kleidung und der Haltung im Stil der Dreißigerjahre. Und obwohl man weiß, dass dies einfach Kinderbilder sind, glaubt man doch drei eifrige kleine Nazis zu sehen, schon perfekt angepasst an Ehrgeiz und Gehorsam. Das Vergnügen an Schleimes Bildern ist durchaus nicht frei von Gemeinheiten.

Andere Werkzyklen, wie die poetischen Leporellos und Tagebücher, beschreiben Reisen nach Hawaii und Kenia, voll Sehnsucht nach einem anderen Leben, einem exotischen Paradies und der Erfahrung des Fremden. Es gibt Serien übermalter Fotos und Postkarten. In all dem wird eine Lust spürbar, sich mit malerischen Sujets auseinander zu setzen, unabhängig davon, ob das gerade als Anachronismus oder als Wiederentdeckung der Malerei gilt. Die Arbeit hat zu viel Eigendynamik, als dass dies großen Einfluss auf sie hätte.

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