: Doppelt feucht
Porn to be wet: Sexfilme im Liquidrom sind nicht sehr entspannend. Erst recht nicht, wenn Spiegel TV kommt
„Sich treiben lassen“ oder „es treiben“ – am Mittwochabend im Liquidrom nur eine Frage der Perspektive: Im Salzwasserbecken der Luxus-Therme paddeln entspannungshungrige Berliner, an der Wand des Betongewölbes geht es derweil ordentlich zur Sache. Die Organisatoren der wöchentlichen Liquidrom-Party „Unterwasserturntableism“ haben Andreas Stollenz eingeladen. Als Autopilot kennt man ihn aus dem OstGut, für seine ureigene Methode des „Pornscratchings“: Sexfilme ihres Originaltons zu berauben und mit minimalem Techno neu zu vertonen.
Das mag auf einer Sex-Party in einer dreckigen Industriehalle nichts Besonderes sein, doch in einer Wellness-Oase wie dem Liquidrom, in der man sich ja eigentlich nur entspannen und nicht vor allen Augen sexuell erregen möchte, ist das etwas Heikles. Porno in aller Öffentlichkeit, dank der Bild-Zeitung derzeit ja ohnehin ein heißes Thema. Filme mit Sibel Kekilli zeigt Autopilot allerdings nicht, dafür eher Museales aus den Sechziger- und Siebzigerjahren, mit viel Körperbehaarung bei beiden Geschlechtern.
Die Musik dazu: etwas kraftlos vor sich hin plätschernde Synthie-Loops. So, ganz ohne Stöhnen, wirken Sexfilme anregend wie Waschmittelwerbung. Die Besucher schenken ihnen dann auch gar nicht so viel Beachtung, lieber lassen sie sich vom Salzwasser streicheln. Eine Frau saugt ihrem Freund vernarrt an den Zehen, ein frisch verliebtes Schwulen-Pärchen übt Zungenküssen. Der einsame Taucher, der mit seiner Schwimmbrille immer wieder unter Wasser verschwindet, erntet strafende Blicke.
Dann leuchtet in dem Glaskasten, in dem Autopilot sein Equipment aufgebaut hat, ein Handlicht auf, ein Mann schultert eine Kamera: Spiegel TV ist gekommen, und plötzlich wird Andreas Stollenz ganz geschäftig. Der Beat zieht an, ein richtiger Techno-Stomper pumpt durch das Becken, der Sex an der Wand wird explizit. Durch die Scheibe sieht es so aus, als ob Stollenz im Interview zu seinem Pornscratching ganz schön viel zu erzählen habe, währenddessen zeigt er minutenlang denselben Cumshot-Loop: prächtiger Schwanz mit durstiger Dame.
Danach steht er dann wieder ganz alleine hinter seiner Scheibe. Was könnte es jetzt noch zu tun geben? Ach ja – die Frau, die ihre Möse in Vorfreude durchbürstet: Stollenz improvisiert etwas lustlos ein schwül-kitschiges Jazz-Solo. Dann ist es auch schon halb zwei. Ab unter die Dusche, das Salz abwaschen. JAN KEDVES
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen