: Allzu stille Schreibtischtäter
Ob „FAZ“, „Spiegel“, WDR oder „Stern“: Die Medienelite der Nachkriegszeit hat lange gegen die Demokratisierung der Bundesrepublik angeschrieben. Eine Fülle von Belegen und Porträts findet sich in einer Monografie über journalistische Karrieren, die während des Nationalsozialismus begannen
von ASTRID VON PUFENDORF
Zu einem lange tabuisierten Thema haben nun zehn Journalisten und Historiker – alle nach dem Krieg geboren – einen wichtigen Beitrag geleistet: der Teilhabe von Journalisten, die in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik die Medienelite repräsentierten, am Naziregime. Der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister, Herausgeber des Bands „Die Herren Journalisten“, schreibt einleitend, mit dem „berufsständischen Mythos“, die meinungsführenden Blätter der Nachkriegszeit hätten entscheidend zur Demokratisierung beigetragen, sei aufzuräumen. Und das gelingt dem Kompendium nachhaltig.
Zwar gehörten, so Hachmeister, „vergangenheitspolitische Abrechnung und Analyse zum täglichen Geschäft“, ihre eigene Geschichte jedoch hätten die Journalisten verschwiegen oder verdrängt. Die jungen Autoren in diesem Band brechen indes nicht den Stab über das Verhalten der damals Handelnden, aber sie kritisieren ihre „Unfähigkeit, zu trauern“, ihr „Denken in doppelten Standards“, ihre „moralische Indifferenz und geistige Konjunkturabhängigkeit“.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, eine Meisterin in der Inszenierung geschichtspolitischer Großdebatten wie des „Historikerstreits“, ist ein geeignetes Beispiel, an dem der Wirtschaftsredakteur Friedemann Siering die vielfältigen Verstrickungen mit der Nazipublizistik exemplarisch aufzeigt. Indem die FAZ auch heute noch den „Gründungsherausgeber Erich Welter“ im Impressum herausstellt, werde ein schiefes Bild fortgeschrieben.
Ohne Otto Klepper, den letzten demokratischen preußischen Finanzminister, der 1947 – zurückgekehrt aus der Emigration – in Frankfurt am Main die Wirtschaftspolitische Gesellschaft (Wipog) mitgegründet hatte, wäre die Gründung des liberalkonservativen Blattes nicht möglich gewesen. Klepper hat nicht nur die Geldgeber, sämtlich Mitglieder der Wipog, für die Zeitung gewonnen, um die demokratischen Ziele der Wipog zu verbreiten, er hat auch die entscheidenden Journalisten zusammengeführt.
Klepper hat sich nicht nur für den durch den Nationalsozialismus belasteten Erich Welter bei der französischen Militärregierung eingesetzt, sondern auch für Paul Sethe, der bis 1943 für die Frankfurter Zeitung geschrieben hatte und dann beim Völkischen Beobachter dienstverpflichtet gewesen war.
Klepper hat die Lizenz besorgt und war einverstanden mit Welters Vorschlag, die belasteten Redakteure Viktor Muckel und Erwin Finkenzeller einzustellen. „Ein so hartnäckiger Gegner des Nationalsozialismus ich auch gewesen bin“, argumentierte Klepper, „so bin ich andrerseits der Meinung, dass wir die Gelegenheit, tüchtige Kräfte, die aufgrund der verfehlt durchgeführten Entnazifikation brachliegen, zu gewinnen nicht versäumen sollten.“ Genau in diesem Vorschlag liegt eine der Ursachen dafür, dass der Demokratisierungsprozess so stark behindert wurde, wie er selbst nur zu bald merken sollte.
Schon im Sommer 1950 kam es zum Bruch zwischen Wipog und FAZ, weil Klepper die „sozialreaktionären und restaurativen Tendenzen“ der Zeitung für gefährlich hielt und es für die Wipog als nicht mehr tragbar ansah, „als Plattform eines Organs zu dienen, auf dessen politische Haltung wir keinen Einfluss haben“. Neben anderen Gründen war es vor allem die Aufgabe der bisherigen liberalen Linie des Blattes, die den Bruch herbeiführte. Die FAZ begann sich immer stärker an den Interessen der Wirtschaft und einseitig an der Politik Kanzler Adenauers zu orientieren.
Der Prozess dieser Anpassung war endgültig abgeschlossen, als Sethe, der die Aufgabe des Journalisten vor allem darin sah, „zur Willensbildung“ beizutragen und hierbei auch kontroverse Standpunkte zu diskutieren, auf massiven Druck hin 1955 das Blatt verlassen musste, weil er Kritik an Adenauers Außenpolitik geübt hatte. Dies trug ihm nicht nur beim Kanzler den Titel eines „Bolschewistenfreundes“ ein, sondern löste – viel wirksamer – eine Blockade im Anzeigengeschäft aus.
Durch Sethes Artikel, so Albrecht Pickert, Vorstandsvorsitzender einer Stahlbaufirma und gleichzeitig Mitglied des zehnköpfigen Förderausschusses der FAZ, sei eine Lage geschaffen worden, „die im Interesse des ehrlichen Namens der deutschen Industrie einer sauberen Klärung“ bedürfe. Pickerts Kollege im Förderausschuss und Chef der Salamander AG, Alexander Haffner, sekundierte: „Die Zeitung ist von der Wirtschaft gegründet worden, weil damals die ganze Tagespresse sozialistisch infiziert war. Das konnte nur den Sinn haben, dass die Zeitung grundsätzlich, bei aller Freiheit der Kritik im Einzelnen, gegen die sozialistische Opposition auftritt.“
Sethes publizistische Tätigkeit während der NS-Zeit wurde bei der FAZ erst thematisiert, als es, so Siering, „um die Disziplinierung des widerspenstigen Journalisten ging – mochte er auch noch so große Verdienste um den Aufstieg des Blattes haben“. Das Verschweigen der nationalsozialistischen Vergangenheit von einflussreichen Redakteuren diente also auch als subtiles Instrument im Kampf um Einfluss und Pfründen.
Ein kompliziertes Geflecht aus NS-Kumpanei, der Sicherung von Insiderinformationen und dem auflagesteigernden Thema Nationalsozialismus lässt sich jedoch am deutlichsten anhand der Geschichte des jungen Spiegels ablesen, wie Lutz Hachmeister skizziert. „Die Einladung zur Mitarbeit an SD-Führer, Gestapoleute und NS-Propagandisten durch das Redaktionsmanagement des frühen Spiegels“ habe nichts Zufälliges gehabt. „Augstein und Becker kalkulierten vielmehr kühl den Wert von Insiderkenntnissen für die Bearbeitung des deutschen Themenkomplexes schlechthin – den Aufstieg und Fall des NS-Regimes.“ Wieder zeigt sich hier das utilitaristische Doppelgesicht fast aller Medien, das den Neustart in die Demokratie stark belastet hat.
Kein Wunder, dass die Alliierten Schwierigkeiten hatten, lizenzwürdige Leute zu finden, wie der Beitrag des Münchner Historikers Paul Hoser am Beispiel der Süddeutschen Zeitung zeigt. Gerade weil die US-Militärregierung ihre Aufgabe besonders ernst nahm und darauf achtete, alle Anzeichen nazistischer und vor allem antisemitischer Meinungsäußerung zu unterdrücken, könne man „der Süddeutschen Zeitung bescheinigen, dass sie von Anfang an konsequent mit dem Nationalsozialismus ins Gericht ging“.
Eigentlich, so mögen vor allem Jüngere denken, müsste doch auch die Zeit zu jenen Zeitungen gehört haben, aber leider galt für die ersten zehn Jahre das, was der von den Autoren Matthias von der Heide und Christian Wagener zitierte langjährige Zeit-Autor Ralf Dahrendorf schrieb: „Die Zeit stand damals rechts der Mitte, weiter rechts als die CDU. Ihre Betonung des Nationalen war von deutscher Tradition geprägt, das Altnationale vermischte sich mit dem Sinn für soziale Nöte.“
Bei der Zeit hatte man sich das Reich, Renommierblatt des NS-Staats, zum Vorbild genommen. Ernst Samhaber, ehemals Reich-Redakteur, wurde Chefredakteur der Zeit und lenkte sie „direkt ins rechtskonservative Fahrwasser“. Zwar musste er als „unsicherer Demokrat“ auf Geheiß der britischen Kontrollinstanzen schon im August 1946 seinen Schreibtisch wieder räumen, doch sein Nachfolger Richard Tüngel, „ein blutiger Amateur“, den „die politische Leidenschaft drängte, schreibend die Geschicke des Vaterlandes mitzugestalten“, wie es in der Zeit vom 22. August 1946 zu lesen war, verschärfte den „Rechtsdrall des Blattes“ nur noch mehr. Erst als Marion Gräfin Dönhoff sich als Chefredakteurin durchgesetzt hatte und Gerd Bucerius Mehrheitsgesellschafter wurde, konnte die Zeit zu dem werden, was sie für viele heute ist: zum publizistischen Flaggschiff einer liberalen Bundesrepublik.
Wie die Zeit an die Tradition des Reichs anknüpfte, so war der Stern „bereits Ende der Dreißigerjahre ein in Deutschland bekannter Markenartikel mit rund einer Million Lesern“. Mit diesem Satz begräbt Nils Minkmar, Feuilletonredakteur bei der FAZ, einen weiteren publizistischen Mythos, den von der „Stunde null“. Indem der später legendäre Magazinherausgeber Henri Nannen seinen Stern als Neugründung inszenierte, aber die alte Aufmachung nutzte, bediente er die Konsumgewohnheiten des Publikums, das seinen alten Stern geliebt hatte. Und verdiente obendrein sehr viel Geld, während der verschwiegene Erfinder der werbewirksamen Aufmachung Kurt Zentner hieß und in den Dreißigerjahren Bildredakteur im Ullstein Verlag gewesen war. Ja, „clever und pfiffig“ musste man sein, „Widersprüche versöhnen“ und „die Welt gleichsam permanent augenzwinkernd“ betrachten, dann konnte man auch im Zeitungsgeschäft viel verdienen – eine Unternehmensmaxime, die einer Definition von Skrupellosigkeit gleichkommt.
Nannen hatte damit keinen Schaden angerichtet, aber ein anderer, der eine fatale „Kontinuität“ verkörperte: Hans Zehrer. Der war, so der Publizist und ehemalige Stern-Chefredakteur Michael Jürgs, „einer der wichtigsten Schreibtischtäter, von denen die Weimarer Republik totgeschrieben wurde, aber beileibe nicht der einzige. Und auch nicht der einzige, der nach dem Kriege in einem neuen demokratischen Staat ohne Scham und Skrupel dort weitermachte, wo er einst aufhören musste.“
In der Weimarer Zeit war Zehrer der Herausgeber der Tat, eines rechtskonservativen „meinungsbildenden Intelligenzblatts“, das mit seinen völkischen, nationalen, sozialen, aber antiparlamentarischen Ideen enormen Einfluss auf führende Kreise der Weimarer Republik hatte. Zehrer wurde zwar im Juni 1933 abgesetzt, „überwinterte“ das Regime aber friedlich auf Sylt.
Seine beiden Nachfolger in der Tat-Redaktion, Giselher Wirsing und Ferdinand Fried, traten der SS bei, bewährten sich als „treue Verehrer und Verkünder des Führerwillens“ und schrieben nach dem Krieg, von Zehrer gefördert, eifrig weiter – unter anderem für das evangelische Sonntagsblatt. Zehrer wechselte schließlich ins Haus Axel Springer und schrieb dort für die Welt. Als solcher hatte er auf die Meinungsbildung der Bundesrepublik großen Einfluss, obwohl – oder weil! – er, „wie einst in Weimar, antirational, deutsch-dunkel, völkisch“ (Jürgs) schrieb.
Am Ende des lehrreichen Bandes wird von Uwe Kammann noch ein Journalist vorgestellt, der auf die Meinungsbildung in der Bundesrepublik mehr als großen Einfluss hatte: Werner Höfer, der Starmoderator des „Internationalen Frühschoppens“ vom WDR, wurde nach 1945 zur „Kultfigur und Diva des Nachkriegsjournalismus in Deutschland“. Kammann nennt diesen bundesdeutschen Werdegang „ein Lehrstück für falsche Vergangenheitsbewältigung“.
Höfer hatte 1943 den Mord an dem Pianisten Karlrobert Kreiten im 12-Uhr-Blatt „hymnisch“ gerechtfertigt. Der Journalist Peter Wapnewski erinnert am 28. November 1987 in der FAZ an Höfers Vergangenheit. Der Spiegel nimmt sich vierzehn Tage später des Falls prominent an – und am 22. Dezember verlässt Höfer den WDR.
Höfer ist einer der wenigen aus der bundesdeutschen Medienelite, die an ihre Naziverstrickungen strauchelten – weil sich Ende der Achtzigerjahre der Zeitgeist gewandelt hatte: Nationalsozialistische Mitläufer- und Täterschaften wurden plötzlich ebenso gnadenlos geächtet wie zuvor verschwiegen.
ASTRID von PUFENDORF, Jahrgang 1936, schrieb das Buch „Otto Klepper (1888–1957) – Deutscher Patriot und Weltbürger“, Oldenburg, München 1997, 341 Seiten, 49,80 Euro Lutz Hachmeister und Friedemann Siering (Herausgeber): „Die Herren Journalisten. Die Elite der deutschen Presse nach 1945“. C. H. Beck, München 2002, 326 Seiten, 14,90 Euro
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