: Aktiengesellschaft als Selbsthilfe
Kaufhaus „Brings und Kauf“ bringt Langzeitarbeitslosen Jobs. Startzuschüsse des Landes haben sich bereits rentiert. Nur Aktionäre müssen noch auf Dividende warten
BIELEFELD taz ■ Vor fünf Jahren gründeten Bielefelder Arbeitslose eine Aktiengesellschaft. Die Brings und Kauf AG verkauft in einem ehemaligen Autohaus Gebrauchtwaren und Sonderposten. 17 neue Jobs sind so entstanden – 15 davon für ehemalige Langzeitarbeitslose, Schwerbehinderte und andere so genannte Benachteiligte, die woanders kaum Chancen auf eine Stelle gehabt hätten.
Der Laden sieht aus wie eine Fusion aus Aldi, Karstadt, Sonderpostenladen, DDR-Kaufhalle und Flohmarkt. Ein Cocktailkleid für 15 Euro, fabrikneue Fahrräder ab 99 Euro, Markenfüller für 49 Cent, ein nagelneuer Strandkorb für 199 Euro. Hier gibt es fast nichts, was es nicht gibt.
Bei der Kundschaft kommt die wilde Mischung gut an. Um die einfachen weißen Regale, Marke schnell und billig, drehen Omas aus der Nachbarschaft ebenso ihre Runden wie Studenten, Handwerker und türkische Familien mit Großvater und Kindern im Schlepptau. Die Studentin Cordula Fichte schätzt die Verbindung aus Recycling und Einkaufen: „Das ist wie Flohmarkt. Sachen, die ich nicht mehr brauche, kann ich anderen zugänglich machen.“
Heidi Zeh (45), die früher „rumgejobbt und eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme gemacht“ hat, arbeitet seit der Gründung von Brings und Kauf in der Warenannahme. Die Bielefelder bringen säckeweise alte Sachen. Manche kommen sogar mit fast neuen Designerklamotten: „Boss, Armani, Joop, alles schon da gewesen.“ Angekauft wird, was sich gut verkaufen lässt: außer Kleidung vor allem Hausrat wie komplette Besteck- und Geschirrsätze.
Auf dem erkennbar gebrauchten Konferenztisch im Büro des Unternehmensgründers und Geschäftsführers Christian Presch liegt ein Stapel CDs, frisch reingekommen. „Die besten Tricks der Kapitalisten“ steht auf dem Cover. Er ist mit den ersten fünf Jahren zufrieden: Trotz der Wirtschaftskrise hat das junge Unternehmen seinen Umsatz im vergangenen Jahr um sieben Prozent auf fast 1,4 Millionen Euro gesteigert.
Das Startkapital für ihr Kaufhaus hatte sich die Bielefelder Selbsthilfe ganz kapitalistisch auf dem freien Markt besorgt. Rund 250.000 Mark erzielte die Initiative 1998 aus dem Verkauf ihrer mehr als 2.000 Aktien. Die 100-DM-Aktie kostete erst 120 und dann wegen der großen Nachfrage sogar 140 Mark. 350.000 DM liehen sich die Gründer bei Banken.
Das Unternehmen muss professionell arbeiten, nicht nur um Löhne, Heizkosten und die rund 9.500 Euro teure monatliche Miete zu erwirtschaften. Die ersten fünf Jahre lang hat das Land Nordrhein-Westfalen mit insgesamt rund einer Million Euro aus dem Programm „Soziale Wirtschaftsbetriebe“ geholfen. Eine Investition, die sich schon rentiert hat: 750.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge und 375.000 Euro Steuern hat Brings und Kauf bisher an die öffentlichen Kassen gezahlt. Dazu kommen eine Viertelmillion Umsatzsteuer und das Geld, das die Bundesanstalt an Arbeitslosengeld gespart hat.
Fast 500 „schwer vermittelbare“ Arbeitslose haben insgesamt in „sozialen Wirtschaftsbetrieben“ wieder eine Stelle gefunden. Trotzdem hat das Land das Programm gestrichen.
Brings und Kauf ist noch nicht über den Berg. Die hohen Anlaufkosten haben das Eigenkapital aufgezehrt. Trotz guter Umsätze schrieb das Unternehmen inklusive Abschreibungen im vergangenen Jahr noch 29.000 Euro Verlust.
Jetzt sucht Brings und Kauf neue Kapitalgeber, um den Laden umbauen zu können. Bisher lässt der Durchschnittskunde pro Einkauf nur 9,40 Euro an der Kasse. Mehr passt nicht in die Einkaufskörbe, und für Einkaufswagen ist kein Platz.
Obwohl aus der versprochenen Dividende von fünf Prozent bisher nichts geworden ist, haben die Aktionäre den Vorstand zum fünften Geburtstag einstimmig entlastet. Für die Bilanzen und die Zukunftspläne gab es Beifall. Davon träumen die Vorstände der großen Konzerne vergeblich. ROBERT B. FISHMAN
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