: Einspruch erhebt Einspruch
Hamburg ist Hauptstadt staatlicher Rechtsbrüche: Zusammenschluss von Flüchtlingsberatungsorganisationen führt Hearing zur Abschiebepolitik des Schwarz-Schill-Senats durch. Bilanz ist katastrophal und hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun
von KAI VON APPEN
In Hamburg werden unter Schwarz-Schill die Rechte von Flüchtlingen mit Füßen getreten, auch offener Rechtsbruch ist keine Seltenheit. Dabei werden sogar Gerichte belogen oder Urteile ignoniert und Gutachten manipuliert. Das ist das vernichtende Ergebnis des gestrigen Hearings von „Einspruch“ – einem Zusammenschluss von 28 Organisationen der Flüchtlingsarbeit – mit prominenter Besetzung im Museum der Arbeit. „Das ist schon komisch, dass in einem Rechtsstaat so etwas vorgehen kann“, sagt Stefan Berglund, Mitarbeiter des Flüchtlingskommissars des UNHCR bei den Vereinten Nationen.
In Hamburg ist es an der Tagesordnung, dass Personen abgeschoben werden, bei denen eigentlich Abschiebehindernisse vorliegen, so mehrere VertreterInnen von Flüchtlingsberatungsorganisationen in ihren Sachstandsberichten (siehe Dokumentation Fallbeispiele). Dahinter steht die Direktive von Innensenator Ronald Schill, mindestens 500 Flüchtlinge im Monat abzuschieben. „Die Weisung ist über das Gesetz gestellt worden“, sagt Anne Harms vom kirchlichen „Fluchtpunkt“ über die Ausländerbehörde: „Das Antragsverfahren wird durch die Abschiebung erledigt.“
Dabei werden auch skrupellos Familien getrennt oder nächtliche Abschiebungen durchgeführt, obwohl das Vollstreckungsgesetz dies nicht zulässt. Auch werden Wohnungen gestürmt und Personen in Abschiebehaft genommen: Eine in „Freiheitsbeschränkung“ umdefinierte Freiheitsberaubung, um die dafür erforderliche richterliche Anordnung zu umgehen.
Für Bernd Mesovic von „Pro Asyl“ sind die Hamburger Verhältnisse bundesweit einzigartig. „Das ist organisierte Rechtsverweigerung“, kommentiert er die Sachstandsberichte. „Es gibt immer mal Verfehlungen, in Hamburg sind sie gewollt.“
Das geht wohl selbst dem Gesundheitspolitiker Rolf Gerhard Rutter von der Schill-Partei zu weit, wie er eingesteht. „Wir müssen Flüchtlingen uneingeschränkt unsere Hilfe zukommen lassen“, sagt er. Auch leere Kassen „rechtfertigen Rechtsbrüche nicht“, so Rutter.
Welch Geistes Kind Schill ist, davon hat Berglund persönlich schon eine Kostprobe bekommen. „Er sagte mir, 97 Prozent der Afrikaner sind Illegale, und die 97 Prozent Illegale alle Kriminelle. Die Schwarzen müssen weg.“ Berglund weiter: „Ich finde es ungeheuerlich, dass sich in Hamburg diese Situation entwickelt hat, ohne dass ein anderes Bundesland protestiert.“
Für Landespastorin Annegrethe Stoltenberg ist mit „Einspruch“ ein Bündnis entstanden, um „in die Auseinandersetzung mit dem Staat zu treten“ und Öffentlichkeit zu schaffen. „Gerade in den Printmedien gibt es für bestimmte Themen keine Öffentlichkeit, da kommt die taz allein nicht gegen an.“
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