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Eine linke Abrechnung

Der unorthodoxe linke US-Essayist Paul Berman fordert in einer wuchtigen Streitschrift, die totalitäre Bedrohung durch den Islamismus ernst zu nehmen. John Gray langweilt mit einem Essay über die „Geburt al-Qaidas aus dem Geist der Moderne“

„Wieso sollte es Europa unmöglich gewesen sein, auch seinen Geist der Selbstzerstörung zu exportieren?“

VON ROBERT MISIK

Paul Berman will in den Krieg ziehen. Der „Krieg gegen den Terror“ müsse endlich zum „Krieg der Köpfe“ werden, bekundet er. Schließlich werde der „weitgehend von Schriftstellern und Denkern“ entschieden, und da möchte Berman nicht abseits stehen. Schon vorweggenommen sei: Paul Berman ist, um im Bild zu bleiben, eine Smart Weapon. Er gilt als einer der profiliertesten Essayisten der USA, ein heller Denker und unorthodoxer Linker, der heute den Neokonservativen in Pentagon und Weißem Haus ziemlich nahe steht. In seinem Buch „Terror und Liberalismus“, das jetzt auf Deutsch erschien, in den USA aber schon vor einem Jahr (also noch vor der Invasion im Irak), vertritt er leidenschaftlich und durchaus beeindruckend seine Position.

Er geht zunächst von der alten Frage aus, wie eine freie Gesellschaft überleben kann. Freiheit, Liberalität, Weltoffenheit, Marktwirtschaft, die Grundlagen der westlichen Kultur, generieren schließlich das eminent Unheroische: Indifferenz gegenüber allen möglichen Meinungen, eine Leidenschaftslosigkeit in politischen Fragen, Konsumismus, die Orientierung der Individuen an ihren eigenen Interessen. Niemand hat mehr Lust, in Kriegen zu sterben. Was aber, wenn diese liberale Gesellschaft herausgefordert wird, und wenn die Herausforderung von Kräften kommt, die gerade all das an der westlichen Kultur verachten? Dann muss, so Berman in Anlehnung an Abraham Lincoln, eine „freiheitliche Gesellschaft eine kriegerische Gesellschaft“ werden.

Berman steht in der Tradition des linken amerikanischen „Liberalism“, der in etwa mit der europäischen Sozialdemokratie vergleichbar ist, aber den kompromisslosen Antitotalitarismus noch stärker nuanciert. Berman, 1949 geboren, sieht sich als Erbe jenes Häufleins von Linken, die nie isolationistisch waren, für den Krieg gegen Hitler plädierten und auch gegenüber dem totalitären Charakter der Sowjetunion nicht blind waren. Seine Helden sind Leute wie John Dewey und Arthur Koestler, seine Antihelden Hitler, Stalin, Saddam Hussein, Bin Laden.

Denn, da lässt Berman nicht locker, islamischer Nationalismus und Islamismus – die sich für ihn nur oberflächlich unterscheiden – seien die totalitäre Herausforderung unserer Zeit. Sie mache aus, was alle totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts auszeichne: Hass auf den Liberalismus, Hass auf den Westen, Antisemitismus, Todeskult, die Idee eines reinigenden Armageddons, einer apokalyptischen Säuberung, eines Gewaltexzesses, nach dem die neue Welt und der neue Mensch erst erstehen können. Zudem seien kennzeichnend der Gestus moralischer Strenge und die, wenn auch leicht wahnhafte, Vorstellung einer Ursprünglichkeit, die es wieder herzustellen gelte, wenngleich mit modernen Mitteln.

Al-Qaida ist damit, dies Bermans These, ein Produkt der westlichen Moderne. Dies ist auch die Pointe des neuen Buches von John Gray, „Die Geburt al-Qaidas aus dem Geist der Moderne“. Im Kern sagt er zwar Ähnliches wie Berman, aber derart verschwurbelt und unausgegoren, dass es wehtut. Der Londoner Wirtschaftsprofessor beschreibt pointenreich die teils wahnhaften Erscheinungen des westlichen Rationalismus des 19. Jahrhunderts, von denen es nicht weit war zu Grotesken des Positivismus und damit auch zu einem „Machbarkeitswahn“, ohne den die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts nicht denkbar gewesen wären. Die waren, einerseits, die radikalisierten Resultate dieses Wahns, etwa in ihren Menschenzüchtungsphantasien, andererseits abwehrende Reaktionen auf die Moderne.

So mündet das Panorama aus gesamter Neuzeit, in das Gray al-Qaida fügt, in der Einsicht, dass alles modern ist: Rationalismus und Antirationalismus, Moderne und natürlich auch Antimoderne, weil Letztere ohne Erstere gar nicht existieren würde. Das ist dann freilich so wahr, dass es schon wieder banal ist.

Berman führt seine These überzeugender aus, vor allem am Beispiel Sayyid Qutbs, des ägyptischen Muslimbruders, der 1966 gehängt wurde. Er war der erste große Theoretiker des militanten Islamismus und hat auch posthum noch entscheidenden Einfluss auf die Dschihad-Zirkel, aber auch auf Teile des „gemäßigteren“ Islam ausgeübt (siehe „Die Freiheit, die in der Unterwerfung liegt“, taz vom 27. 1. 2004).

Qutb sei ein Produkt des Zusammenpralls von Tradition und Moderne und seine Theorie sei ohne westlichen Nihilismus, ohne Lenins Konzept der Avantgardepartei nicht zu verstehen – um nur zwei Einflüsse zu nennen. Und dieses „Westliche“ im Islamismus ist bis heute leicht auszumachen: die Suizidalbomber erinnern Berman an das „Viva la muerte“ linker Guerilleros, der Dresscode der Hamas an Mussolinis Braunhemden. Alle möglichen Sitten, Ideen und Waren habe Europa in den vergangenen 500 Jahren exportiert, „warum sollte es Europa unmöglich gewesen sein, auch seinen Geist der Selbstzerstörung zu exportieren?“, fragt Berman.

Da überzieht er sein Argument natürlich etwas zu arg und insinuiert, die Muslime wären nicht fähig, ihren eigenen Wahnsinn auszubrüten. Dafür musste sich Berman auch von Kritikern schelten lassen, die unterstellten, er benutze den Islamismus bloß als Folie für die Abrechnung mit der eigenen linken Geschichte und es habe ihm dabei paradoxerweise auch noch sein alter Linksradikalismus die Feder geführt: der Reflex, der Westen sei an allem schuld, auch an seinen Bedrohungen. Die Kritik ist hart, aber gerecht, denn sie folgt der Logik des höhnischen Generalverdachts gegen Haltungen des linken Justemilieus, die Berman selbst zu einiger Meisterschaft gebracht hat.

Seine linken Pappenheimer zeichnet Berman denn auch in grellen Farben, sie sind für ihn Komplizen der Verbrecher. Weil sie schon am Afghanistankrieg herumnörgelten und den Irakkrieg ablehnten; moralische Würmer, so wie die Pazifisten der Dreißigerjahre, die gegen den Krieg gegen Hitler argumentierten und von einem Appeasement der Nazis träumten; so wie die Fellow Traveller des Kommunismus, die im Kalten Krieg die Sache der Freiheit verraten haben; so wie die liberalen europäischen Warmduscher der Neunzigerjahre, die nicht einmal daran dachten, die bosnischen Muslime zu retten. Er schreibt das alles in dem schneidig-spöttisch-verachtenden Tonfall, wie man ihn nicht selten findet bei Konvertiten. Das verleiht auch seinen richtigen Argumenten oft einen unangenehmen Beiklang.

Trotzdem ist Bermans Buch über weite Strecken tiefsinnig, klug und äußerst kenntnisreich. Zudem stellt es eine Schlüsselfrage: Wie kann sich eine modernisierte Linke einer der großen globalen Herausforderungen stellen, jenseits von pazifistischem Sanftmut und rechtem Haudrauf-Bellizismus? Mag Berman auch zu sehr der Hoffnung verfallen sein, die Freiheit könne auf den Bajonetten der US Army verbreitet werden: Mit einer flotten Handbewegung abtun kann man seine Argumente nicht.

Paul Berman: „Terror und Liberalismus“. Europäische Verlagsanstalt, 272 Seiten, Hamburg 2004, 22,90 €John Gray: „Die Geburt al-Qaidas aus dem Geist der Moderne“. Verlag Antje Kunstmann, München 2004, 174 Seiten, 16,90 €

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