: König von Dudweiler
aus Berlin und Saarbrücken JENS KÖNIG
„Na ja, der Oskar“, sagt Franz Müntefering, als er gefragt wird, was er davon hält, dass sein ehemaliger Vorsitzender vielleicht zum Sonderparteitag der SPD in zehn Tagen kommen will.
Na ja, der Oskar. Das sagen mittlerweile viele in der SPD. Es klingt ein wenig nach Mitleid mit einem Mann, der offenbar dabei ist, sich selbst zu vernichten. Der das nachholt, was einer gewissen Adelheid Streidel bei ihrem Attentat 1990 nicht gelungen ist: die Zerstörung des Politikers Oskar Lafontaine.
Na ja, der Oskar. In Wahrheit heißt es, dass sie in der SPD nicht mehr wissen, was sie zu ihrem ehemaligen Parteivorsitzenden noch sagen sollen. Die einen schütteln den Kopf. Die anderen machen sich über ihn lustig. Sie halten ihn mittlerweile für verhaltensgestört. Sie finden, dass Lafontaine sich lächerlich macht, wenn er androht, er komme nur dann zum Sonderparteitag, wenn er dort genauso lange reden dürfe wie Gerhard Schröder. „Auf denn! Soll er doch kommen“, höhnt Müntefering, der Fraktionschef, der Lafontaine noch vor ein paar Jahren als Geschäftsführer gedient hat. „Dieser Parteitag ist aber in Berlin und nicht in Mannheim.“ Müntefering drückt den Rücken durch. Er zieht genüsslich an seinem Zigarillo.
Aber die Genossen können tönen, wie sie wollen. Es ist nicht zu überhören, dass sie vor dem Oskar auch Angst haben. Keine große Angst, aber immerhin so viel davon, dass sie sich nicht vertreiben lässt. Die Angst schlummert.
Natürlich hat das mit Mannheim zu tun. 1995 hat Lafontaine dort auf dem Parteitag gegen Rudolf Scharping geputscht und triumphal die Macht in der SPD übernommen. Natürlich wiederholt sich Geschichte nicht. Aber Angst hat auch etwas Irrationales. Gerhard Schröder, Lafontaines Nachfolger, steht mit dem Rücken zur Wand. In den Umfragen liegt die SPD bei 26 Prozent. So schlecht sah es für sie nur einmal aus: 1995, vor dem Parteitag in Mannheim.
Ausgerechnet jetzt ist der große Verschwundene wieder da. Nicht nur in der Bild-Zeitung, wo er, wie die Genossen finden, jeden Montag in seiner Kolumne die Sozialdemokratie verrät. Im Fernsehen darf er wieder den letzten aufrechten Linken Europas geben. Er redet in Spanien, in der Schweiz, in Österreich. Er lässt sich von der IG Metall feiern.
Nur für die SPD in Berlin existiert Lafontaine nicht mehr.
Zu ihrer sozialdemokratischen 140-Jahr-Feier am heutigen Freitag in Berlin hat sie ihn einfach nicht eingeladen. Auf die Geburtstagskarten hat Generalsekretär Olaf Scholz die Köpfe von allen sozialdemokratischen Parteiführern drucken lassen, von Lassalle, Bebel, Brandt und Schröder – nur Lafontaines Kopf fehlt. „Nach allem, was in den letzten Jahren passiert ist“, erklärt Scholz, „hätte sich die SPD mit einer Einladung an Lafontaine selbst entwürdigt.“ Scholz sagt diesen Satz im Willy-Brandt-Haus in Berlin ohne jede Erregung.
Lafontaine reagiert zornig, trotzig. Schröder behandele ihn genauso, wie Stalin einst mit Trotzki umgegangen ist, sagt er in einem Interview. Trotzki sei auch von allen offiziellen Fotos wegretuschiert worden. Als Schröder und seine Minister die Nachricht von Lafontaines Interview in die Kabinettssitzung hineingereicht bekommen, gucken einige von ihnen grimmig, andere flüstern ihrem Nachbarn das Wort „Eispickel“ zu. Sie finden, Lafontaine ist mit dem Vergleich zu weit gegangen. Stalin hat seinen Rivalen Trotzki in Mexiko von Geheimdienstleuten mit einem Eispickel umbringen lassen. Äußern wird sich zu dieser Trotzki-Geschichte hinterher keiner von Schröders Ministern. Zeitverschwendung. Der Kanzler sagt über Lafontaine ohnehin seit Monaten kein Wort mehr, nicht mal ein böses, nicht mal in vertraulichen Gesprächen.
Sich selbst überschätzen, das kann Lafontaine noch ganz gut. Er war immer schon so: hochmütig und gleichzeitig harmoniebedürftig. Ein Narziss wie er reagiert auf nichts so panisch wie auf den Entzug von Liebe.
Aber wen interessiert das schon im Saarland. Trotzki ist lange tot und Mexiko weit weg. Hier, in seiner Heimat, ist die Liebe zu Lafontaine ungebrochen. Für viele Sozialdemokraten ist er immer noch ihr Held, einen anderen haben sie nicht gefunden. Natürlich haben sie ihm bis heute nicht verzeihen können, wie er 1999 den SPD-Vorsitz weggeworfen hat. Andererseits sind sie froh, dass Lafontaine vor ein paar Monaten in die sozialdemokratische Familie zurückgekehrt ist. Sie müssen ihren Übervater nicht mehr wie einen Aussätzigen behandeln. Lafontaine meldet sich als einfacher Genosse zur Parteiarbeit zurück.
Im Bürgerhaus von Dudweiler, einem kleinen Ort in der Nähe von Saarbrücken, hat Lafontaine am Donnerstag voriger Woche zum ersten Mal seit seinem Rücktritt wieder an einem SPD-Parteitag teilgenommen. Er sitzt vier Stunden lang brav in Reihe 1, hört seinen Genossen aufmerksam zu, macht sich Notizen und redet erst dann, wenn er aufgefordert wird. „Liebe Genossen“, sagt Lafontaine, „ich stimme dem zu, was Heiko Maas gerade gesagt hat.“
Maas hockt unten im Saal und lächelt. Er registriert mit Genugtuung, dass sich sein einstiges großes Vorbild da oben auf der Bühne kleiner macht, als es in Wirklichkeit ist. Maas ist Chef der saarländischen SPD. Er ist 36 Jahre alt. Als er begann, Politik zu machen, war Lafontaine schon Ministerpräsident. Maas wurde mit 32 Jahren Fraktionschef und mit 33 Jahren Landesvorsitzender. Lafontaine saß längst daheim und schrieb Bücher. Trotzdem rief er Maas immerzu an und lud ihn in sein Haus ein. Als Maas dem Drängen nachgab und ihn besuchte, musste er sich vorwerfen lassen, den Rat des Weisen zu ignorieren.
Was gilt denn in der saarländischen SPD, fragten alle, das, was Maas, oder das, was Lafontaine sagt? Um den quälenden Zustand zu beenden, entschloss Maas sich vor sechs Monaten, Lafontaine wieder zu einem ehrenwerten SPD-Mitglied zu machen. Er vereinbarte klare Regeln der Zusammenarbeit.
Oben auf der Bühne kommt Lafontaine langsam in Fahrt. Er redet wie in seinen besten Tagen, leidenschaftlich, bissig, böse. Seinen großen Rivalen, einen gewissen Gerhard S., erwähnt er mit keinem Wort. Aber jedes Wort ist gegen ihn gerichtet. Wahlbetrug! Sozialabbau! Kotau vor den Reichen! Und wie herrlich Lafontaine immer noch den Retter der Weltwirtschaft geben kann. „Deutschland nähert sich einer japanischen Situation“, warnt er geheimnisvoll. Er spricht vom IWF, vom Dollar, vom Euro, von Frankreich („da war ich gerade“), von England („da war ich auch gerade“), von Amerika. Den Genossen in Dudweiler wird schwindelig. „Wenn die SPD nicht mehr für soziale Gerechtigkeit steht“, ruft Lafontaine, „dann verliert sie ihre Seele.“ Am Ende applaudieren sie alle. Oskar is coming home.
Lafontaine passt nach Dudweiler. Die Genossen spielen hier gallisches Dorf und lehnen Schröders Reformpläne ab. Lafontaine ist der ideale Anti-Schröder. Er ist der einzige Linke weit und breit, der es mit Schröder aufnehmen kann. Aber nur theoretisch. Lafontaine steht perfekt für die innere Leere der SPD.
Der Weltökonom geht zurück auf seinen Platz. Er setzt sich neben Maas. Kein einziges der Papiere, das der junge Parteichef nebenbei liest, entgeht Lafontaine. Er beugt sich zu Maas rüber, liest mit, kontrolliert. An den Sitzungen des Landesvorstandes nimmt Lafontaine auch wieder teil. Sein Stuhl steht immer neben dem des Landesvorsitzenden.
Natürlich weiß Heiko Maas, was seine Gegner in der Partei hinter seinem Rücken tuscheln. Dass der alte Hase Lafontaine den Jungspund nur benutzt. Dass er mehr will, als er vorgibt. Wir kennen doch den Oskar, sagen die Genossen im Saarland, der war schon immer ein Trickser. Natürlich passt Maas auf, dass der Oskar ihn nicht austrickst. Und natürlich sagt er, dass er Lafontaine vertraut, „in jeder Sekunde“. Was soll er auch sonst sagen. „Dem Maas geht doch der Arsch auf Grundeis“, meint ein Genosse aus dem Saarland, „ohne Lafontaine hat er die Landtagswahlen im nächsten Jahr schon verloren.“
Was aber treibt Lafontaine, außer dass er die SPD, Europa und die Weltwirtschaft retten will? Den Provinzonkel wird er ja kaum spielen wollen.
Lafontaine will Schröder weghaben. Er hält es inzwischen für den größten Fehler seines Lebens, den Rivalen 1998 überhaupt zum Kanzler gemacht zu haben. Er hat darauf gesetzt, dass die Wähler 2002 ihr Urteil über Schröder sprechen werden. Ein führender Parteilinker empört sich noch heute über das, was Lafontaine ihm vor zwei Jahren in seinem Saarbrücker Lieblingsrestaurant mitzuteilen hatte. „Im Wahlkampf unterstütze ich nicht Schröder, sondern Stoiber“, habe Lafontaine da gesagt.
So war er schon immer. Extrem bis zur Schmerzgrenze. Er oder ich. Dieser verbissene Kampf gegen Schröder ist für Lafontaine auch Trauerarbeit. Sein alter Weggefährte Reinhard Klimmt, früher auch mal saarländischer Ministerpräsident, ist sich sicher, dass Lafontaines Rücktritt 1999 eine Kurzschlussreaktion war. Es sei dem Egomanen aber nicht möglich, sich diesen Fehler einzugestehen. Für Lafontaine wäre Lafontaine dann ein Versager. Also igelt er sich in seiner eigenen Welt ein. Was sozialdemokratisch ist, bestimmt nur er.
Einen Tag nach Dudweiler im Saarbrücker Landtag. Maas ist immer noch mit sich zufrieden. Er sagt, dass Lafontaine ein ganz „banales Bedürfnis nach Wiedergutmachung“ treibt. Hier im Saarland sind alle Genossen überzeugt, dass Peter Müller von der CDU 1999 ohne Lafontaines Rücktritt nie Ministerpräsident geworden wäre. „Lafontaine will einfach helfen“, sagt Maas, „dass die SPD 2004 die Landtagswahl gewinnt.“
Oder dass Lafontaine die Wahl gewinnt. Einer seiner engsten Freunde aus Saarbrücken glaubt, dass der Politrentner vielleicht doch ein Comeback anstrebt. Lafontaine werde in diesem Jahr 60 Jahre alt und sei auf der Suche nach einem würdigen Abschluss seiner Karriere. „Er tastet, er guckt, er wartet ab“, sagt der Freund. „Ich würde nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass Lafontaine 2004 hier im Saarland nicht als SPD-Spitzenkandidat antritt.“
Und in Berlin? Verbietet es sich von selbst, an dieses Szenario auch nur zu denken. In der Bundespartei schert sich niemand um Lafontaine. Nicht mal die Parteilinke ruft. Natürlich würden sie das Verhältnis zu ihrem einst so beliebten Parteichef gerne normalisieren. Ein Anruf aus Saarbrücken, und alles wäre erledigt. Einer aus der SPD-Spitze sieht es so: „Lafontaine müsste nur sagen: Ich bin ein ehemaliger Parteivorsitzender, und ich benehme mich so. Dann wird er auch so behandelt.“ Bevor das passiert, wird Lafontaine wohl doch eher Papst.
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