: Miller ist weg – wer kommt nun?
Nach dem angekündigten Rücktritt des Regierungschefs ist in Polen die Nachfolgedebatte voll entbrannt. Oppositionsparteien fordern Neuwahlen
WARSCHAU taz ■ Die Polen sind erleichtert: „Uff!“, titelte Polens größte Boulevardzeitung Fakt: „Miller ist weg“. Zwei Seiten weiter publizierte das Blatt eine große Stellenanzeige. Der Kandidat für das Amt des Premiers solle folgende Qualifikationen mitbringen: „Ehrlichkeit, Fleiß, Klugheit, Mut, Verständnis für die Probleme von Millionen Landsleuten.“ Nicht zu bewerben brauchten sich „politische Strippenzieher, Freunde von Skandalbrüdern und Stümper“.
Nach der Ankündigung Leszek Millers vom Freitag, zum 2. Mai zurückzutreten, suchen Polens linke Parteien nach einem neuen Ministerpräsidenten. Doch einfach ist das nicht: denn der Neue muss im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit finden. Zwar haben die knapp 30 Parteirebellen, die am Donnerstag aus dem Millerschen Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) austraten und eine eigene Partei gründeten, angekündigt, auch künftig mit der SLD zusammenzuarbeiten. Doch der Streit um die neue Ausrichtung der Regierungspolitik ist groß. Wer die drei linken Parteien – die bisherige Regierungspartei SLD, die Rebellengruppierung Sozialdemokratie Polens (SDPL) und die SLD-Koalitionspartei Union der Arbeit (UP) – unter einen Hut bringen kann, ist offen.
Im Gespräch sind mehrere Kandidaten. Wlodzimierz Cimoszewicz, heute Außenminister, und Innenminister Jozef Oleksy standen schon einmal an der Spitze einer linken Regierung. Sie müssten sich nicht groß einarbeiten. Doch wenn Cimoszewicz, der zu den „Rebellen“ gehört, aber auch von den „Apparatschicks“ akzeptiert wird, Premier würde, müsste ein neuer Außenminister gesucht werden. Kurz vor dem Beitritt Polens zur EU ist das keine gute Lösung. Bis Juni soll die Europäische Verfassung fertig sein. Zwar hat Miller in Brüssel die Weichen für einen Kompromiss gestellt, doch die Detailverhandlungen kommen jetzt in die heiße Phase.
Jozef Oleksy, einst einer der heftigsten Kritiker Millers, hat bei den Reformern an Glaubwürdigkeit verloren. Zudem hat er auf dem SLD-Parteitag vor drei Wochen Aleksandra Jakubowska ostentativ herzlich geküsst. Die Leiterin des politischen Büros von Miller spielt eine höchst unrühmliche Rolle in der „Rywin-Affäre“, einem der größten Korruptionsskandale Polens. Ein weiterer Kandidat ist Marek Belka, ein Ökonom, derzeit Wirtschaftskoordinator im Irak. Er wäre für alle Seiten akzeptabel, ist jedoch kein politischer Kopf.
Präsident Aleksander Kwaś- niewski will heute einen Nachfolger vorschlagen. Dieser muss sich mit der Regierung am 16. Mai einem Vertrauensvotum stellen. Sollte er nicht die Zustimmung von mindestens 230 Abgeordneten erhalten, wird Kwaśniewski Neuwahlen ausschreiben. Das fordern fast alle Oppositionsparteien, so auch Jan Rokita von der Staatsbürger-Plattform: „Macht Ernst mit dem Neuanfang!“ GABRIELE LESSER
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