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happy birthday, klaus von ILKE S. PRICK

„Ich mach das nicht noch mal mit!“, sagt meine Freundin und schiebt das Konfetti zur Seite. „Diesmal wird es anders“, versuche ich einzulenken, aber es sieht so aus, als hätte ich keine Chance. „Er ist ein Psychopath, das weißt du. Ich feiere erst, wenn er’s tatsächlich getan hat.“ Psychopath, Quatsch! Vielleicht ein bisschen depressiv.

„Ich nehm’ den Colt“, hatte Klaus gesagt, „kannste glauben.“ Fünf Jahre ist das her. Ich versuchte ruhig zu bleiben. Er nimmt den Colt. Ja, klar. Wie immer. Er nimmt den Colt und zielt genau. Zwischen die Augen oder hinten rein in den Hals. Er hatte mir das vorgemacht. Mehrmals. Mit dem Finger natürlich, nicht mit dem Colt. Ich wusste noch nicht mal, ob er einen Waffenschein hat. In seinen Mund hatte er gezielt. Mir war schon vom Zugucken schlecht. Ich bin empfindlich. Mein Zahnarzt weiß das. Würgereiz. Ich mag Klaus, ehrlich, nur manchmal ist es nicht leicht mit ihm.

Meine Freundin kann Klaus auch gut leiden. Eigentlich. Bloß nicht im März. Im März hat Klaus Geburtstag. Jedes Jahr. Vor fünf Jahren ist er vierzig geworden, und da kam er auf diese Idee mit dem Colt. „Wir feiern schön, Klaus“, hatten wir gesagt. „Vierzig ist doch kein Alter“, hatten wir gesagt. „Kuchen, Sekt und ein paar nette Leute“, hatten wir auch noch gesagt, doch Klaus setzte seine Litanei fort, ohne dass er uns zugehört hatte. „Und die Haare gehen aus. Ihr werdet’s sehen, kurz vor zwölf“, er reckte symbolträchtig den Finger in die Höhe, zum dritten Mal an jenem Abend, „und – bummm.“ „Hast du nicht Zivildienst geleistet?“ Meine Freundin bekam keine Antwort. „Ein alter Mann wie ich, wen interessiert das schon? Vierzig und von allen vergessen.“ Wie gesagt, vor fünf Jahren.

„Diesmal wird es gut“, nehme ich einen neuen Anlauf. „Keine Null, und er hat versprochen, dass er‘s nicht noch mal macht.“ Meine Freundin schüttelt den Kopf. „Richtig klasse, glaub mir.“ Aber das tut sie nicht.

Vor fünf Jahren standen wir pünktlich um 10 vor 12 bei ihm im Hof, hatten eine 40 mit Teelichtern in den Restschnee gelegt und einen Heidenkrach mit der Hauswartsfrau hinter uns, die abwechselnd mit der Polizei und der Feuerwehr drohte. Dann klingelten wir an seiner Haustür. Er wollte sich zu Hause erschießen, also musste er doch da sein. Nichts. Stille. Wir wurden blass. Tote gehen ja auch nicht mehr an die Tür. Das wurde uns schlagartig klar. Wir spähten durch den Briefschlitz. Eine Blutlache? Nein, Dunkelheit. Erschießt man sich nicht bei voller Beleuchtung? Niemand von uns hatte Erfahrung damit. Die Tür aufbrechen? Die Polizei rufen? Warten bis zum Morgen? Um eins gaben wir auf, völlig durchgefroren. „Wenn er tot ist, ist er tot und basta! Dann ist er das auch noch nach dem Frühstück.“ So hatte es meine Freundin pragmatisch auf den Punkt gebracht.

Um sechs klingelte mein Telefon. „Hätte ich das gewusst, neinneinnein …“ Klaus heulte am anderen Ende. Allein in einer Kneipe hatte er gesessen und die Bedienung voll genölt, weil ihm niemand gratulierte. Aber wie sollte das auch jemand, wenn keiner wusste, wo er war?

„Ich habe ihm zu Weihnachten ein Handy geschenkt“, versuche ich es ein letztes Mal. Meine Freundin lächelt mich böse an: „Und ich eine Luger.“

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