piwik no script img

Jagd auf Staatsverräter und Spione in Russland

Neuer Gesetzentwurf der Regierung erweitert bestehenden Straftatbestand. Scharfe Kritik von Menschenrechtlern

BERLIN taz ■ Der russischen Duma liegt ein von der Regierung eingebrachter Gesetzentwurf vor, nach dem „Staatsverrat“ und „Spionage“ weiter gefasst werden sollen. Dies berichtet die Internet-Zeitung kommersant.ru. Demnach liegt Staatsverrat nicht nur dann vor, wenn der Beschuldigte einem ausländischen Staat, einer ausländischen oder internationalen Organisation Staatsgeheimnisse übermittelt hat. Der Straftatbestand ist auch erfüllt, wenn ein anderer Staat oder eine internationale oder ausländische Organisation finanziell, materiell oder beratend in einer Tätigkeit unterstützt werden, die gegen die Sicherheit Russlands, Russlands verfassungsgemäße Ordnung, Souveränität und territoriale Integrität gerichtet ist.

Staatsverrat wird im aktuellen Gesetz und im neuen Gesetzentwurf mit einer Haftstrafe von zwölf bis zwanzig Jahren geahndet. Als Grund der Änderung, so der Kommersant, führe man an, dass der Staatsverratsparagraf in seiner jetzigen Fassung die Ermittlungstätigkeit des Geheimdienstes FSB erschwere.

Menschenrechtler kritisieren den Gesetzentwurf heftig. Viele Begriffe seien so unklar, dass einer Verfolgung kritischer Bürger Tür und Tor geöffnet wäre. Es sei nicht klar, wer entscheide, ob die Arbeit einer internationalen Organisation verfassungsfeindlich sei. Manche fühlen sich an eine Zeit erinnert, in der Regimekritiker wegen „antisowjetischer Agitation und Propaganda“ lange Jahre in Lagerhaft saßen.

Da nun auch Handlungen gegen die Verfassung als Staatsverrat gewertet werden sollen, die sich in finanzieller oder beratender Tätigkeit für eine ausländische Organisation zeigen, könnte jeder, der Kontakt zu Ausländern habe, zum Hochverräter gemacht werden, so Boris Nadeschdin, Leiter der Rechtsfakultät des staatlichen Moskauer Instituts für Physik und Technik.

„Wäre der Gesetzentwurf bereits in Kraft, könnte man auch mich wegen Hochverrats anklagen. Ich habe einen Brief unterschrieben, der sich gegen die Verfassung richtet, und in dieser Sache eine ausländische Organisation beraten“ sagte Nadeschdin kommersant.ru. Nadeschdin hatte sich gegen die Verlängerung der Amtszeit des russischen Präsidenten gewandt.

BERNHARD CLASEN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen