piwik no script img

STUTTGARTER KOPFTUCHGESETZ MACHT CHRISTLICHE LEITKULTUR AMTLICHFalsche Feindinnen

Jetzt ist es amtlich. Die Leitkultur in Baden-Württemberg ist christlich. Kopftücher werden für Lehrerinnen verboten, Kippas und Kreuze dagegen nicht. Wer jemals dachte, unsere Leitkultur sei doch die Verfassung, der ist erneut belehrt. Das Bundesverfassungsgericht etwa hatte gemeint, dass alle Religionen in der Schule gleich zu behandeln seien. Mitnichten, haben die Baden-Württemberger nun beschlossen. Musliminnen darf der Staat diskriminieren.

Besonders apart ist, dass die Regierung eine Einzelfallüberprüfung, die die Grünen vorgeschlagen hatten, als potenzielle „Gesinnungsschnüffelei“ ablehnte. Das erinnere unangenehm an die Folgen des Radikalenerlasses, heißt es aus der Regierungsfraktion. Wenn man diese Parallele fortsetzt, heißt das: Um nicht die Gesinnung der Tuchträgerinnen erfragen zu müssen, sperrt Baden-Württemberg sie lieber gleich ganz aus. Ein Berufsverbot ohne Gesinnungsprüfung soll besser sein als eines mit einer solchen Befragung. Die hunderttausenden Kopftuch tragenden Musliminnen in Deutschland stehen allesamt unter dem Verdacht, ein verfassungsfeindliches Symbol mit sich herumzutragen, wenn nicht gar Verfassungsfeindinnen zu sein. Das ist absurd. Gerade die Lehramtsstudentinnen mit Tüchern haben in Befragungen alle frauen- oder demokratiefeindlichen Aspekte des Islams abgelehnt. Das Resultat der Agitation der Verbotsbefürworter aber ist heute schon zu besichtigen. Kopftuch tragende Musliminnen haben auf dem Arbeitsmarkt noch nie gute Chancen gehabt, jetzt tendieren sie gegen null.

Das Klima in der Gesellschaft hat sich geändert. Je näher der islamistische Terror rückt, desto größer wird die Unsicherheit angesichts einer nicht genau zu benennenden Zahl von Fundamentalisten. Man kann sie nur schwer erkennen, wie der Verfassungsschutz feststellen musste. Die Kopftuchträgerinnen dagegen sind sichtbar. Sie sind mittlerweile zu Platzhalterinnen für die unsichtbaren Islamisten geworden. So sieht der Schutz der Würde der Frau in Deutschland im Jahr 2004 aus.

HEIDE OESTREICH

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen