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Ein Chamäleon mit Cadillac

Michael Grade soll als neuer Chef der BBC die Kelly-Affäre vergessen machen. Er ist ein Meister der Selbstinszenierung, der weiß, wie man „Scheiße an Arschlöcher“ verkauft

Zwar tritt Michael Grade sein Amt erst am 17. Mai an, doch nachdem er vorige Woche zum neuen BBC-Vorsitzenden ernannt wurde, ist die Vorfreude bei dem Sender groß. Seine wichtigste Aufgabe hat er dadurch bereits zum Teil gemeistert – nämlich die Angestellten moralisch wieder aufzurichten, nachdem Lordrichter Brian Hutton der BBC im Januar die Alleinschuld an der Kelly-Affäre gegeben hat.

Der Richter untersuchte den Tod des Wissenschaftlers David Kelly, der sich voriges Jahr offenbar selbst umgebracht hatte, nachdem er von der Regierung als Quelle für einen umstrittenen BBC-Bericht bloßgestellt worden war. In dem Bericht wurde behauptet, die Regierung habe die vom Irak ausgehende Gefahr übertrieben, um den Krieg zu rechtfertigen.

Aufgrund des Hutton-Berichts traten der BBC-Vorsitzende Gavyn Davies und Generaldirektor Greg Dyke zurück. Grade muss nun einen neuen Generaldirektor finden und die interne Kelly-Untersuchung abschließen. „Die größte Bedrohung für die Unabhängigkeit der BBC ist die Selbstzensur der Angestellten“, sagte er. „Sie müssen Hutton hinter sich lassen, die Lektion lernen und vorwärts schauen.“

Solche Worte hört man gern bei der BBC, und das weiß Grade (61). Er ist ein Meister der Selbstinszenierung. Seine Karriere begann 1960 als Sportreporter beim Daily Mirror. Da war er 17 und ließ sich jeden Tag von einem Chauffeur in einer Limousine zur Redaktion fahren. Vielleicht hat er dieses Detail aber auch erst später in seine Biografie eingefügt. Es würde zu ihm passen. Mit 26 erwarb er 10 Prozent der Anteile an „London Management“, der wichtigsten Agentur des Showbusiness außerhalb der USA. Mit 33 sorgte er dafür, dass die BBC erstmals in der Geschichte die Exklusivrechte am englischen Fußball verlor. Sechs Jahre später ging er als Präsident von Embassy Television nach Hollywood. Sein Markenzeichen waren rote Socken und ein pinkfarbenes Cadillac-Cabriolet. Er verkaufte „Scheiße an Arschlöcher“, so beschrieb er seinen Job. 1984 wurde er Controller der BBC und zwei Jahre später ihr Programmdirektor. Dann war er neun Jahre lang Geschäftsführer bei Channel 4, wo er sich den Spitznamen „Chefpornograf“ erwarb. Zuletzt arbeitete er als Geschäftsführer bei der staatlichen Lotteriegesellschaft.

In seinem neuen Job als BBC-Vorsitzender sind bunte Socken und komische Autos nicht gefragt. Aber Grade hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er ein Chamäleon ist. RALF SOTSCHECK

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