: Helme und Hanteln
Was braucht es im Sommer? Nagelneue Epik oder: den Bauarbeiterfitnessroman
„Verflucht!“, schrie Ronny. Die Kurzhantel krachte auf den Kachelboden und rollte unter die Adduktorenmaschine. „Und? Effiziente Erholungsphase angesagt?“ Michaels Frage blieb unbeantwortet. Ronny zog sein lila T-Shirt über den Bund der gelben Jogginghose und ging hinüber in die Workoutkammer. Dabei blickte er verstohlen in die mannshohen Stilspiegel, mal links, mal rechts. Michael stierte ihm nach. Er saß auf der Beinpresse, die Knie angezogen.
„Das is’ aber auch nix“, sagte Magda. Sie erhob sich gerade von ihrer blauen Gymnastikmatte, streckte die Arme nach hinten, drückte das Kreuz durch und rückte dann ihren zückigen Tigertanga zurecht. „Mach weiter, ich hol mir ’nen Eiweißriegel.“ Weitermachen? Wozu? Fragen entstanden plötzlich in Michaels Kopf. Er schaute scheel auf Ronnys Hantel, die wie eine Katze unter der Adduktorenmaschine kauerte. Sein Muskelshirt saß gut. Starke Adern drückten sich durch die gebräunte Haut der Oberarme. „Die verdammten Kurzhanteln“, kam ihm in den Sinn, „die sind aber auch wirklich dick!“
Im Bodyshapingroom K 5 lief Musik. „Der gynäkologische Stuhl“, dachte Michael, „auf den muss ich auch mal drauf.“ Eine Schweißperle zitterte auf seiner rechten Wange und tropfte endlich herunter. „Der gynäkologische Stuhl, die Adduktorenmaschine, das wäre eine Herausforderung! Mental. Geistig. Well.“
„It’s my heart, it’s my soul“, sprudelte es aus den geschmackvollen schwarzen Bosse-Boxen an der weiß getünchten Wand des „Lifeness Vitalclubs“. „Neulich im Fitnessstudio“, durchzuckte Michael ein Gedanke, ein überbordender Gedanke an Stretchtrousers’, an Cardio-Laufbänder mit kalifornischen Görls, an Bicycles, auf denen sich stramme, wippende Maiden in Breakthroughshoes nach der Spinningmethode im Lance-Armstrong-Style hoben, an ein Kleingruppentraining nach der Feelgoodmethode und – jetzt! – an ein Körpererlebnis, das „Spaß“ verheißen würde und das einem danach das Gefühl gäbe, etwas für sich getan zu haben, und nicht nur für sich, sondern auch für den andern, dem man seinen Körper zeigen würde.
Inmitten des komplexen Fitnessgedankens schreckte Michael, der sich in einer entbehrungsreichen Work-Up-Phase befand, hoch. Ronnys Hantel hielt unverändert die Stellung, aber etwas veränderte die Situation. Ein Bauarbeiter betrat den Raum. Er strahlte das körpergewordene Bauch-Beine-Po-Programm aus. Er leuchtete – von innen. Von Anti-Stress-Programm an diesem Mann – keine Spur. Da hatte die Pilates-Methode zugeschlagen. Mit Yoga und allem Drumunddran. Michael entschied, das Denken einzustellen.
„Ich muss mehr auf meine Lifeline achten“, sagte Magda währenddessen und hob ihr Molkeglas. Ronny, auf dessen Stirn ein stecknadelgroßer Tropfen glänzte, nippte an einem Mineraldrink. „Gehst du noch aufs Laufband?“ – „Nö“, erwiderte Magda. „Ich stepp noch. Auf dem Stepper.“ – „Sicher“, so Ronny. „Der Butterfly ist out, oder?“ Schweigen an der Shakebar. Beweglich bestellte Magda nun eine Recreation-Cola. Sie räkelte ihren Wunderkörper. „Kein Brusttraining?“, fragte Ronny. „Dann lieber Kabelziehen“, sagte Magda gelangweilt. „Und was hältst du von L-Carnitin?“ – „Dem fleischfördernden Aminovitamin?“ – „Ja …“ – „Ist doch alles Curcuit.“ Andere verweilten derweil im Solarium, und jemand saß in der Sauna. Vor der Birkenholztür lag ein Helm. Weiß. Angestoßen. Mit einem Firmenlogo: „ThieTiBa“. Feierabend, dachte Michael, als er mit der Aufgusskelle in der Hand eintrat. Perlen glänzten auf bronzener Haut. Der Bauarbeiter war scheinbar eingeschlafen. Michael schloss leise die Tür hinter sich. JÜRGEN ROTH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen