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daniela böhle über TelefonFreundlichkeit, die nicht von Herzen kommt

Deutschen Firmen ist egal, wie zufrieden ihre Kunden sind? Stimmt nicht. Ganz im Gegenteil

Als ich gestern die Tür öffnete, standen draußen zwei Frauen. „Guten Tag“, sagten sie. „Wir nehmen an, Sie haben einen Telefonanschluss.“

Aha. Diese penetranten Telekommunikationshaie hatte ich auch lang nicht mehr vor der Tür stehen. Ihre Blicke wanderten nach unten zur Telefonbuchse, die sich direkt neben meiner Tür befindet, und mein Blick ebenfalls. „Würden Sie gern billiger telefonieren?“, fragen mich die beiden Frauen.

„Oh, gern!“ zu rufen war mir zu blöd. So sagte ich gar nichts, sondern wartete einfach ab. Aber meine Abneigung gegen die Telekom ließ mich schließlich einen dubiosen Vertrag abschließen. Dann unterschrieb ich, dass ich verstanden habe, dass nun all meine Telefongespräche billiger werden. „Und jetzt unterschreiben Sie bitte noch hier, dass Ihnen bewusst ist, dass wir nicht für die Deutsche Telekom arbeiten“, sagte die Frau. Ich unterschrieb. „Und jetzt unterschreiben Sie bitte noch hier, dass Sie freundlich beraten wurden.“ Ich unterschrieb. Dann erhielt ich einen Stapel Durchschläge und durfte die Tür wieder schließen.

Zehn Minuten später bekam ich einen Anruf. „Guten Tag!“, sagte ein freundlicher junger Mann, „gerade haben Sie Besuch von zwei unserer Servicemitarbeiterinnen bekommen. Sind Sie freundlich beraten worden?“ – „Sollte ich das nicht gerade schon unterschreiben?“, fragte ich zurück. „Soll ich Ihnen jetzt sagen, dass ich zu dieser Unterschrift mit einer Pistole am Kopf gezwungen wurde?“

„Wie bitte?“, fragte der junge Mann.

„Und bekomme ich in zehn Minuten einen Anruf, in dem ich gefragt wurde, ob Sie mich nett gefragt haben, ob ich von den Mitarbeiterinnen nett beraten wurde? Und nach weiteren zehn Minuten einen Anruf, in dem ich gefragt werde, ob ich nett gefragt wurde, ob ich nett gefragt wurde, ob ich nett beraten wurde? Befinde ich mich im Inneren einer russischen Puppe?“

„Entschuldigung“, sagte der junge Mann. Er klang verwirrt. „Sie haben doch gerade Besuch von unseren Servicemitarbeiterinnen bekommen?“

„Sag’ ich nicht“, sagte ich. „Das geht Sie gar nichts an. Und ist es Ihnen nicht zu blöd, Ihre Kolleginnen zu bespitzeln? Würden Sie gern bespitzelt werden? Sind Sie vielleicht aus dem Osten?“ An dieser Stelle hat er aufgelegt.

Seit einem alle Zeitungen einzureden versuchen, dass man keine Jobs mehr bekommt, es sei denn, man bettelt darum oder besticht jemanden, seitdem stellen sich junge Frauen vor die Wohnungstür von irgendjemand Wildfremdem und raspeln Süßholz, damit nachher die russische Puppe fragen kann: „Und? War sie auch nett? War sie auch sehr nett? Und wenn Sie sagen, dass sie pampig war, dann hat sie die längste Zeit einen Job gehabt!“

Bekannte von mir erzählen jetzt immer öfter, dass sie unbezahlte Überstunden machen. Nein, das sei schon okay, bei der Arbeitsmarktlage könnten sie froh sein, dass sie überhaupt Arbeit hätten. In Wirklichkeit ist dies alles eine riesige Verschwörung. Es gibt eigentlich Jobs für alle, die wollen, aber die Arbeitgeberverbände haben die gesamte Presse in der Hand und lassen regelmäßig Gruselgeschichten verbreiten. Demnächst werden nur noch eine Hand voll Menschen Arbeit haben!, schreien die Zeitungen hinaus, alle anderen werden hungern und nur noch Fetzen am Leib tragen! Und weil daraufhin alle panisch zwölf Stunden pro Tag an ihren Arbeitsplätzen verbringen, reiben sich die Arbeitgeber die Hände, weil plötzlich tatsächlich Arbeitsplätze wegfallen. Daraufhin verbringen die Menschen noch mehr Zeit an ihrem Arbeitsplatz, und noch mehr Arbeitsplätze fallen weg, und immer mehr Menschen werden glücklich sein, wenn sie überhaupt noch arbeiten dürfen. Wenn sie zum Beispiel Telefonverträge an der Tür verkaufen dürfen und sich dabei von einer russischen Puppe überwachen lassen müssen.

Demnächst werde ich aus dem Supermarkt kommen, und ein junger Mann wird mich fragen: „Und? Sind Sie auch freundlich bedient worden? Hat die Kassiererin angemessen schnell die Strichcodes eingelesen und ordentlich ‚Guten Tag‘ und ‚Auf Wiedersehen‘ gesagt?“ Vor der Post wird man mich fragen, ob der Postangestellte „Bitte“ und „Danke“ gesagt hat und ob er ordentlich genug rasiert war.

Niemand wird es mehr genießen können, freundlich behandelt zu werden, erstens, weil man danach sofort gefragt werden wird, ob man auch zufrieden war, und zweitens weil man weiß, dass es niemand mehr freiwillig tut. Man wird im Gegenteil froh sein, wenn man irgendwo noch unfreundlich behandelt wird. Dann weiß man: Das kommt von Herzen.

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