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Im toten Winkel Justitias

2006 soll eine neue Lkw-Rückspiegel-Verordnung den Radfahrern mehr Sicherheit bringen. Verbände und Länder wollen sofortige Korrekturen. Im Paragrafendschungel wird heftig gerangelt

VON CHRISTOPH RASCH

Der Blick in den Spiegel zeigt nicht immer das ganze Bild. Und im Straßenverkehr endet diese Binsenweisheit oft genug tödlich: 538 Radfahrer starben 2002 – rund die Hälfte, glaubt der ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club), weil sie sich im vom Autofahrer nicht einsehbaren Bereich, im so genannten „toten Winkel“, befanden. Mehrere Todesfälle der vergangenen Wochen haben nun Verbände und Politiker dazu gebracht, über bessere Spiegel und gescheitere Verordnungen heftig zu diskutieren (die taz berichtete). Berlin will eine Initiative im Bundesrat einbringen. „Da wird bundesweit ein großer Druck für dringend notwendige Änderungen aufgebaut“, sagt Benno Koch, Vorsitzender des ADFC-Landesverbandes Berlin.

So forderte Berlins Exverkehrssenator Peter Strieder (SPD), kurz vor seinem Rücktritt, einen speziellen rechten Außenspiegel für Lkws: „Wären alle Lastwagen über 3,5 Tonnen mit einem vierten rechten Außenspiegel ausgerüstet, wäre das ein bedeutender Beitrag zu mehr Verkehrssicherheit.“ Die Hauptstadt will mit gutem Beispiel vorangehen und die Fahrzeuge des Nahverkehrs, der Müllabfuhr, Polizei und Feuerwehr schnellstmöglich umrüsten lassen. Die landeseigenen Berliner Verkehrsbetriebe reagierten bereits: Ihre 1.400 Busse sollen zusätzliche Außenspiegel erhalten.

Anderswo scheint das problematischer. „Wir würden unseren Mitgliedern gerne raten, einen entsprechenden Spiegel anzubringen“, sagt Christiane Leonhard von der Fuhrgewerbe-Innung Berlin-Brandenburg, „doch bei allen Lkws, die niedriger sind als zwei Meter, würden wir dann gegen bestehende Verordnungen verstoßen.“ Bisher darf der vierte Spiegel erst an richtig großen Brummis angebracht werden – ein Umstand, der weder manchen Politikern noch Spiegel-Produzenten bekannt sei. Auch juristisch ein toter Winkel. Die Justiziarin der Innung sieht deshalb den Gesetzgeber gefordert – und will zunächst eine bundes- und EU-weite Regelung. Leonhard: „Bis dahin müssen wir weiterhin in Aufklärung investieren und abwarten, obwohl viele Firmen großes Interesse an den Zusatzspiegeln zeigen.“

Damit ist der Ball wieder bei der Bundespolitik – und die spielt ihn flugs weiter: „Für uns macht nur eine Regelung auf europäischer Ebene Sinn“, so Iris Gleicke, Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium. Die Regelung soll planmäßig 2006 kommen – und schreibt nur neu zugelassenen Lkws mit über 7,5 Tonnen zusätzliche Spiegel vor. Den auch von der CDU/CSU im Bundestag geforderten, vor der Windschutzscheibe angebrachten „Dobli“-Spiegel, der in den Niederlanden bereits seit 2003 gesetzlich vorgeschrieben ist, sieht Gleicke kritisch. Er behindere die Sicht und sei „nicht vibrationsfrei“ zu befestigen.

„Diese Haltung ist arrogant und zeigt fachliche Inkompetenz“, schimpft Koch, „im niederländischen Verkehrsministerium sind die Probleme längst bekannt – und gelöst.“ Die geplante EU-Richtlinie verbessere den Blick in den toten Winkel nur um 19 Prozent, der „Dobli“-Spiegel um immerhin 34 Prozent – bei gleichen Einbaukosten von rund 150 Euro. Mehr Fachwissen soll den Beteiligten in Workshops vermittelt werden. Parallel zu den politischen Initiativen will Koch, „über die Versicherungen zusätzlichen Druck“ auf Unternehmen aufbauen, damit sie freiwillig Zusatzspiegel montieren.

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