: „Ich mag diesen Geruch des Mülls“
Gerhard Gamperl
Wenn er „wir“ sagt, meint er damit noch manches Mal: wir Wiener. Gerhard Gamperl, 44, neuer Chef der landeseigenen Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR), ist der zweite Österreicher in Folge an der Spitze des Unternehmens. Einen landsmannschaftlichen Erbhof sieht Gamperl aber nicht: Der Vorgänger sei doch aus Tirol gekommen – und das ist für einen Wiener mehr oder weniger Ausland. In Österreich führte der verheiratete Vater von zwei Kindern vier Jahre die Wiener Stadtwerke Beteiligungsmanagement GmbH. Zuvor war er Controller, Geschäftsführer und Prokurist diverser Firmen. Studiert hat er BWL, Kulturtechnik und Wasserwirtschaft in Wien
INTERVIEW VON STEFAN ALBERTI UND RICHARD ROTHER
taz: Herr Gamperl, Sie sind Wiener und seit dem 1. März BSR-Chef. Ihr erster Eindruck: Sind die Berliner dreckiger als die Wiener?
Gerhard Gamperl: Was die Körperpflege angeht, pflegen wir den gleichen mitteleuropäischen Standard. Wenn Sie den Umgang mit der Stadt meinen, habe ich festgestellt, dass es in Berlin wie in Wien Kieze gibt, die sauberer sind und solche, die nicht so sauber sind. Das ist in allen Weltstädten der Fall.
Was ist anders in Berlin?
Wien ist kleiner, und nicht so eine dynamische Metropole wie Berlin. In vielen Ecken ist Wien gemütlicher, und das zeigt sich auch im öffentlichen Raum.
In Berlin gibt es also doch dreckigere Ecken?
Es gibt auch in Wien sehr dreckige Ecken. Im internationalen Kontext sind die Städte in Deutschland, Österreich und der Schweiz recht sauber.
Trotzdem: Andere Städte, etwa New York, sind in dieser Hinsicht sauberer.
Das ist eine ordnungspolitische Frage, dahinter steht die Bereitschaft, das auch durchzusetzen. In New York oder Singapur gibt es hohe Strafgelder, wenn jemand Müll oder auch nur eine Zigarette auf die Straße wirft. Im deutschsprachigen Raum ist das anders. Die BSR macht keine Ordnungspolitik, die BSR fegt.
Würden Sie es begrüßen, wenn auch hier die Zügel angezogen würden?
Ordnungspolitik macht – wie das Wort sagt – die Politik. Wir sehen uns nicht als Vorreiter von politischen Diskussionen, wir sind Dienstleister für die Bürger und für unseren Eigentümer. Unsere Erfahrungen können wir einbringen, aber entscheiden muss die Politik.
Haben Sie sich schon mal angeschaut, wie es hier in einem vermüllten Park aussieht?
Ich habe in der vergangenen Woche eine komplette Müllabfuhrtour in Neukölln mitgemacht. Da hab ich sehr hautnah miterlebt, dass unsere Männer sehr viel zu tun haben. Vor allem in stark beanspruchten Gebieten: Wenn man um fünf Uhr morgens den Alexanderplatz fegt, liegen um sechs schon wieder Glasscherben herum.
Und Sie haben mitgefegt?
Mir war wichtig, nicht nur für eine halbe Stunde einen Besen in der Hand zu halten, sondern die Schicht richtig durchzuarbeiten. Bei der Mülltour durch Neukölln haben wir schließlich zu dritt 19 Tonnen Müll, also 19.000 Kilogramm, an einem Tag gezogen. Das machen die Burschen täglich, davor habe ich großen Respekt. Den Muskelkater fühle ich immer noch, ich habe danach auch aufs Joggen verzichtet.
Wo waren die Abfalltonnen am schwersten?
Bei den Döner- und den Imbissbuden ist das spezifische Gewicht des Mülls mit am höchsten, weil das sehr feuchte Ware ist. Schwer war es bei den drei Glasermeistern, bei denen wir Bruchglas abgeholt haben. Besonders anstrengend war es auch, die Mülltonnen Absätze und Stufen herauf- oder herunterzuwuchten.
Und wo war es am ekligsten?
Die Hinterhöfe sind schon sehr unterschiedlich: Viele sind sehr gepflegt, und in manchen – da haben mich die Kollegen sogar gewarnt – können die Ratten herausspringen, wenn Sie das Tor aufmachen. Einmal habe ich auch Rattenkot gesehen.
Was ist dem Wiener in Berlin noch aufgefallen?
Zum einen gibt es viele Fehlwürfe, wenn also etwa Glas oder Bioabfall nicht im Extracontainer, sondern in der grauen Restmülltonne landet. Da hilft nur permanente Aufklärung. Interessant war auch: Wenn man in der orange BSR-Montur durch die Hausflure geht, wird man sehr nett gegrüßt – nicht auf der Straße, aber in den Hausfluren. Kinder schauen einen mit großen Augen an. Auf meiner Tour hat eine ältere Dame, die immer den Müllmännern aufsperrt, meinen Kollegen gefragt: Ist der neu hier? Worauf der Kollege erwiderte: Den werden Sie schon noch kennen lernen!
Dass die Bürger so freundlich sind – liegt das an der Imagekampagne oder daran, dass sich jeder über weggeräumten Müll freut?
An beidem. Die Kampagne hat sehr viel an positivem Image erzeugt. Aber die Bürger freuen sich auch, wenn der Müll abgeholt wird. Zumal die Behältnisse oft knapp ausgelegt sind und es nach langen Wochenenden schon mal sehr voll werden kann. Wenn der Müll abgeholt wird, ist das ist ein Stück Daseinsvorsorge zum Anfassen, anders als etwa bei den Wasserwerkern, die das Wasser ja nicht persönlich vorbeibringen.
Die Müllmänner haben doch eigentlich überhaupt keine Zeit, mit den Bürgern zu reden.
Es ist sehr genau eingeteilt, die müssen schon sehr schnell arbeiten. Aber ein kurzes Schwätzchen wird schon mal gehalten, das gehört einfach dazu.
Wenn ein McKinsey-Mann mitgelaufen wäre, hätte der gleich ausgerechnet, wie viele Stellen man ohne Schwätzchen einsparen könnte.
Das ist der Job von McKinsey. Kleinere Lücken finden Sie in jeder Branche. Für uns gilt: Die BSR gehört der Stadt, und wir sind für die Bürger da. Wenn ein Müllwerker mit dem Hausmeister über den Müll im Hof redet, dann ist das notwendig.
Was hat Sie zur Müllabfuhr gebracht? Haben Sie schon als Kind gern den Abfall runtergetragen?
Sie werden überrascht sein, wenn ich sage: Ja. Und ich tue es auch heute. Die fachliche Verbindung kommt über meine Ausbildung als Tiefbauingenieur: Da war auch der Bereich Entsorgungswirtschaft enthalten.
In der Außensicht hat Müll nicht das größte Prestige. Hat man Sie in Wien überhaupt zum Opernball gelassen?
In Wien war ich zuletzt nicht direkt mit dem Müll beschäftigt, sondern im Beteiligungsmanagement tätig. Aber die Wiener sind sehr offen, die lassen Müllmänner und andere durchaus zum Ball. Man braucht nur eine Karte zu kaufen.
Was zieht Sie überhaupt weg von Wien nach Berlin?
Es ist natürlich vor allem die Aufgabe, in der größten deutschen Stadt, bei der größten deutschen Stadtreinigung. Eine weitere Voraussetzung war, dass ich meine Familie mitnehme. Meine Frau zieht nicht so gern um, aber bei Berlin gab’s keine Diskussionen – Berlin genießt in Wien eine hohe Attraktivität.
Ist Ihre Familie schon hier?
Nein, die ersten vier Monate bin ich allein hier. Ich wohne in einer Junggesellenwabe auf der Fischerinsel, knapp 40 Quadratmeter. Das ist sehr praktisch, weil nahe am Gendarmenmarkt gelegen. Meine Familie kommt im Juli nach, in den Ferien.
Was beeindruckt Sie denn außer dem Gendarmenmarkt am meisten?
Das schönste Familienerlebnis – meine Familie war über Ostern da – war eine Schiffstour über die Spree. Wir wollen auch in die Nähe des Wassers ziehen. Wien ist auch sehr schön, aber wir haben dort nicht so viel Wasser: Wir haben Hallenbäder, die Donau und das Heustadlwasser – das ist ein schrecklicher Tümpel, in den nur Hunde hineinhupfen, aber keine Menschen.
Und was gefällt Ihnen am wenigsten in Berlin?
Der jetzt weite Weg zu meinem Hobbys Bergsteigen und Skifahren. Aber ich jogge auch gern, und dazu gibt es hier ja reichlich Möglichkeiten. Und bei den vielen Seen will ich auch segeln lernen.
Außer den nicht vorhandenen Bergen: Was behagt Ihnen hier nicht so?
Ich muss ein paar Vokabeln umlernen. Eine ist „heuer“, was in Österreich „dieses Jahr“ bedeutet. Hier denken die Leute oft, ich meine einen spanischen Gruß. Aber das sind Kleinigkeiten.
Und was ist mit der fehlenden Kaffeehauskultur?
Die gibt es doch! Gleich nach meiner Ankunft hab ich im „Einstein“ in Schöneberg gesessen und Schnitzel und Apfelstrudel gegessen.
Lässt sich das vergleichen?
Der Wirt ist ein Wiener.
Da wir bei möglichen Negativerfahrungen sind: Haben Sie den FDP-Fraktionschef Lindner schon getroffen? Der kritisiert die BSR alle naselang und würde sie am liebsten verkaufen.
Ich stehe zu dem Unternehmen, wie es das Land Berlin als Eigentümer aufgestellt hat. Die BSR hat einen Unternehmensvertrag, der gilt von 2000 bis 2015. Es ist eine große Chance, dass ein kommunales Unternehmen sich in einem solchen Zeitraum in Richtung Wettbewerbsfähigkeit entwickeln kann. Innerhalb dieses Rahmens bin ich angetreten, dieses Unternehmen fortzuentwickeln. Dass es verschiedene Diskussionen in verschiedenen politischen Lagern gibt, ist natürlich.
Betrachten wir es mal rein abstrakt: Ist die Stadtreinigung eine Daseinsvorsorge, die generell in die öffentliche Hand gehört? Oder könnten das Private besser machen?
Beide Welten habe ich schon kennen gelernt. Dabei habe ich hinsichtlich der Zahlenorientierung und der Unternehmensphilosophie keine großen Unterschiede erfahren. Wichtig ist, dass man seine Aufgabe gut erfüllt; dabei ist es relativ egal, ob es ein kommunaler Eigentümer oder ein privater ist. Man muss sich aber messen können mit vergleichbaren Unternehmen.
Wie viele von ihren derzeit rund 6.000 Mitarbeitern wird die BSR unter Ihnen als Chef langfristig behalten?
Das kann ich nicht sagen, weil wir neben dem Hausmüll und der Straßenreinigung als hoheitlicher Aufgabe das Geschäft in den Töchtern und Beteiligungen haben. Es ist immer eine Entscheidung des Eigentümers, wie breit oder eng er das hoheitliche Geschäft definiert. Und die Frage ist, welche Rolle das gewerbliche Geschäft spielen soll. Mein Anspruch ist es, möglichst viele Arbeitsplätze nachhaltig abzusichern.
Die Müllentsorgung sollen wegen höherer Kosten ab 2005 „deutlich teurer“ werden, hat Ihre Vorstandskollegin Vera Gäde-Butzlaff jüngst angekündigt. Was heißt das konkret in Euro und Cent?
Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen. In die Berechnung der Müllgebühren fließen mehrere unterschiedliche Faktoren ein. Die Zahlen dafür werden wir erst im Herbst haben, und auf ihrer Basis kalkulieren wir die Gebühren für den Zeitraum 2005/2006.
Fassen Sie doch mal abschließend zusammen: Was ist für Sie Müll?
Da gibt es viele Definitionen, und auch für mich gibt es nicht nur eine. Müll ist Rohstoff, ein Abfallprodukt unserer modernen Gesellschaft, ein Energieträger und eine spannende Sache. Als ich nach meiner Achtstundenschicht aus meinen Klamotten gestiegen bin und diesen süßlichen Geruch an mir gespürt habe, dachte ich: Ich mag diesen Geruch des Mülls. Er gehört zu meinem Leben. Wenn ich heute im blauen Anzug vor Ihnen sitze, ist das die eine Seite des Müllgeschäfts. Bei meiner Schicht mit den Kollegen in Orange habe ich die andere Seite miterlebt. Hautnah – die Blasen habe ich heute noch.
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