: Die Realität sagt: Hallo!
Derzeit findet in Bremen das 14. Bundestreffen der Jugendclubs an Theatern statt. Zum Beispiel mit dem Nachwuchs aus Schwerin und seinem „Festakt“
„Einen Moment warten, hab ich gesagt.“ Die Stimme der jungen Frau am Empfang klingt barsch. Aber bei einem Staatsakt muss schließlich alles seine Ordnung haben. Dann geht’s hinab in die Katakomben des Schauspielhauses. Vorbei an Heizungsrohren, halboffenen Spinden, vergessenen Requisiten. Einmal quer durchs Reich der Haustechnik.
Ab und an biegt man um eine Ecke und kommt vor ein Bild zu stehen: Ein Mädchen springt aus der Erstarrung geräuschvoll eine Treppenstufe höher. Dann wieder Ruhe. Ein Mädchen im BDM-Style glotzt beängstigend durchs Fenster rein. Wenige Meter weiter dröhnt eine Verona Feldbusch-Hymne durch den Rauch des Würstchengrills. Undsoweiter. Meist stumme Schlaglichter auf deutsch-deutsche Gegenwart, die der Jugendclub des Schweriner Theaters mal eben in dem ihnen fremden Raum platziert.
Präzise ohne zu viel zu verraten sind diese Bilder. Die andere Seite der vorsichtig nationalen Heiterkeit gut zehn Jahre nach der so genannten Wiedervereinigung. Dargeboten auf der anderen Seite der Illusionsmaschine Theater. Die Realität sagt Hallo! Nicht nur im Stück, sondern auch weil die jungen SchauspielerInnen des halben Dutzends Gruppen, die zum 14. Bundestreffen der Jugendclubs an Theatern nach Bremen geladen wurden, lärmen, flüstern, tuscheln und lachen.
Wie Menschen zwischen 15 und 20 sich bei feierlichen Anlässen benehmen, ist dann auch Thema des eigentlichen „Festakts“. Den Katakomben entstiegen, erblickt man elf Stühle. In Reihe und mit rotem Samt bezogen. Schlichte Zettel geben Auskunft über die Programmabfolge: „Hymne – Rede des Bundespräsidenten – Hymne“.
Und so passiert’s dann auch. Die befrackte Elf nimmt schließlich ihre Plätze ein. Inklusive Herumdrucksen, Wer-sitzt-neben-wem-Spielchen, dem Bemühen um angemessene Haltung, die sich partout nicht einstellen will. Sepp Herberger Satz von den elf Freunden scheint sich überlebt zu haben. Trotzdem springen sie auf: Hand aufs Herz, Augen geradeaus, Deutschlandlied.
Hernach sehen wir auf der Bühne ein herrlich gelangweiltes, langsam aber sicher durchdrehendes Publikum. Die Armen müssen die Rede Johannes Raus anhören, die er an irgendeinem 9. November seiner Amtszeit hielt. Er meint da, präzise zwischen Patriotismus und Nationalismus differenzieren zu können. Die Stärke des Schweriner „Festakts“ liegt dabei darin, dass die Worte der pastoralen Off-Stimme nicht direkt kommentiert werden. Es ist vor allem der offizielle Rahmen, an dem sich das wortlose Spiel des Ensembles bricht. Einer will aufmerksam aussehen, während seine Freundin ihn bezirzt. Ein anderer ergeht sich in immer abenteuerlicheren Übungen. Die Grenze zwischen Schauspiel und Tanz wird aufgehoben.
Dieser „Festakt“ zeigt, dass Theaterpädagogik, wenn sie zeitgemäß verstanden wird, indem sie von der Spielfreude aber auch den Wünschen und Ängsten der jungen Ensembles ausgeht –gänzlich unpädagogisch wirkt. Und schön ist das lange Schlussbild, in dem die Akteure nach einer Schreiorgie regungslos verharren. Weil gerade die „erfahrenen“ Theaterzuschauer die Spannung – ist jetzt Schluss, oder was? – kaum auszuhalten scheinen.
Tim Schomacker
heute um 20 Uhr spielt der Jugendclub Münster im Schauspielhaus seine Tanz-Theater-Eigenproduktion „Sieben tödliche Sünden“. Um 22.30 Uhr zeigt die Bremer Gruppe Tank II ihr Stück „Kontext Haruki“ im Kontorhaus
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