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Nein sagen reicht nicht mehr

PDS-Fraktion sucht Profilierung mit Wissenschaft und Wirtschaft. Denn beim Sozialabbau könne man allenfalls Schlimmeres verhindern. Doch das neue Konzept ist selbst einigen Abgeordneten zu hoch

von ROBIN ALEXANDER

Politische Kommunikation ist besondere Kommunikation. Sagt man im Alltag über jemanden, er habe Schlimmes verhindert, wird dieser sich in der Regel über die Anerkennung freuen. Nicht in der Politik: „Wir sind zu sehr als jemand wahrgenommen worden, der nur Schlimmeres verhindert“, klagt Stefan Liebich. Der PDS-Fraktionschef hat seine Abgeordneten am Wochenende zu einer Klausur an einen Jachthafen nahe dem brandenburgischen Rheinsberg gebeten, um dort mit ihnen über die richtige Kommunikation zu reden. Als Beispiel führte er die Abschaffung der Lehrmittelfreiheit an. Statt für einen „sozial ausbalancierten Beitrag einiger“ (Liebich) zu werben, habe die PDS öffentlich bedauert, dass Eltern nun die Fibeln kaufen müssen. Liebich: „Mit entschuldigendem Unterton kann man auf Dauer keinen Blumentopf gewinnen.“

Nicht mit Blumen, aber mit Schulterklopfen und Wangenküssen gratulierten zahlreiche Abgeordnete der Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner für ihren öffentlich geführten Kampf gegen Kürzungen bei der Sozialhilfe. Die Führungsgruppe der PDS um Liebich und Wirtschaftssenator Harald Wolf hält jedoch auch Knake-Werners Klartext für strategisch falsch. Am Ende werde man Einschränkungen im Sozialen doch nicht verhindern können und stehe dann unglücklich als verhinderter Verhinderer da.

Die als kleiner Koalitionspartner der SPD arg gezauste PDS blickt neidvoll auf die prosperierenden Grünen in der Bundesregierung. Denen sei es gelungen, mit wenigen Themen ihre Klientel zufrieden zu stellen. Die PDS könne sich solche Felder aus den „Gestaltungsressorts Wissenschaft und Wirtschaft“ heraus im Senat erarbeiten, hoffen nun die Wortführer. Nur eine Minderheit möchte vor allem auf Soziales setzen. Andere – wie die Lichtenberger Bundestagsabgeordnete Gesine Loetzsch – meinen: „Unsere Kernkompetenz ist und bleibt der Osten.“

Wolf sieht harte Zeiten anbrechen – für das Land wie für die Partei. In nichtöffentlicher Aussprache malte er den entsetzten Abgeordneten aus, die Agenda 2010 sei „erst der Anfang“. Beim anstehenden Umbau der sozialen Sicherungssysteme könne es für die PDS keine Option sein, „weiße Salbe zu verschmieren“. Das Bonmot der Klausur prägte aber nicht Wolf, sondern sein politischer Ziehsohn Carl Wechselberg, der die Haushaltslage Berlins mit der „Gravitation“ verglich: „Einfach vorhanden.“

Auch im öffentlichen Teil der Tagung bestimmten fortan Schwerkraftmetaphern die Debatte. „Die strategische Aufgabe besteht darin, die Haushaltsnotlage zu überwinden. Da haben wir vielleicht doch bessere Chancen als bei der Gravitation“, machte Benjamin Hoff Mut. Er verfasste ein Positionspapier über „moderne Innovationspolitik“, das die Fraktion bei vier Enthaltung annahm. Die PDS möchte die Potenziale von Wissenschaft und Wirtschaft verbinden und zukünftig mit diesem Ansatz indentifiziert werden.

Zusätzliche Mittel sind freilich nicht vorhanden. Es geht eher darum, klügere Prioritäten als bisher zu setzten. Vor allem soll in „Humankapital“, also in Bildung, investiert werden. Bei staatlicher Förderung solle in Zukunft Infrastruktur statt einzelne Projekte finanziert werden.

Dahinter steht die Idee, das von sozialdemokratischen Radikalsparvorschlägen verschreckte Uni-Milieu an die im Ton konziliantere PDS heranzuführen. Wolf hielt vor kurzem einen viel beachteten Vortrag an der Freien Universität, Wissenschaftsstaatssekretär Peer Pasternak entwickelte in einem Zeitungsbeitrag die Vision vom besonderen Wissenschaftsstandort „Berlin D.C.“.

Die Gruppe der „Jungs mit großen Köpfen auf schmalen Schultern“ (Fraktionsspott über Kultursenator Flierl, Pasternak und Hoff) überforderte mit diesem Ansatz jedoch schon die eigenen Abgeordneten. Einige gaben an, das später beschlossene achtseitige Papier bei kurzer Einarbeitungszeit noch nicht im Detail überblicken zu können. Als letzter Punkt wird etwa gefordert: „Das Instrumentarium für eine regionsbezogene, d. h. organisationsübergreifende innovationspolitische Portfolioanalyse zu entwickeln“. Auch das ist besondere Kommunikation.

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