: Hoch gelobtes Experiment
Seit 50 Jahren steht Uwe Friedrichsen nun auf Hamburger Bühnen. Die Anfänge machte er als 18-Jähriger im Theater 53, das 13 Jahre lang als das fortschrittlichste Haus der Hansestadt galt
von HANS WILLE
Vor 50 Jahren, im Mai 1953, betrat ein unbekannter Laienschauspieler erstmals die Bretter, die seine Welt werden sollten. Sein Name: Uwe Friedrichsen. In einem Bunker an der Rothenbaumchaussee hatte eine Truppe junger Leute, weitgehend unerfahren im Theater, das ambitionierte Theater 53 gegründet.
Bis 1966 war die kleine Bühne ein von Theatermachern und Kritikern gleichermaßen hoch gelobtes Experiment und das Sprungbrett für Uwe Friedrichsen und auch für Kabarettist Hans Scheibner, der junge Claus Peymann führte kurze Zeit Regie. Zwei Mann mit Theatererfahrung waren von Anfang an dabei: Gründer Markus Scholz und Karl-Ulrich Meves, der die Bühne ab 1956 leitete. Seit 1992 spielt der 75-jährige Meves am Ohnsorg-Theater. Erstmals seit den gemeinsamen Zeiten vor einem halben Jahrhundert stehen Friedrichsen und Meves in „La Paloma ade!“ nun wieder nebeneinander auf der Bühne.
„Den Namen hat Scholz schon im Herbst 1952 bestimmt“, erinnert Meves sich, „weil es im kommenden Jahr ernsthaft losgehen sollte. Um Geld in die Kasse zu bekommen, spielten wir schon im Advent 1952 unter dem Namen für Kinder das Rumpelstilzchen.“ Markus Scholz, Intendant und Regisseur der Truppe, schrieb eine eigene Bühnenfassung aus dem Märchen, um keine Tantiemen zahlen zu müssen.
Die erste reguläre Vorstellung ging im März 1953 über die Bühne. Friedrichsen stieß wenig später dazu. Im Mai bewarb er sich auf Empfehlung eines Freundes. „Scholz fragte mich: ,Sind sie Schauspieler?‘ ,So kann man das nicht sagen‘, antwortete ich. ,Wir können aber nichts bezahlen.‘ ‚Wegen Geld bin ich nicht gekommen. Ich will spielen.‘ ,Das ist schon mal sehr gut. Wir können gleich anfangen. Lernen Sie diesen Text, nachher probieren wir die Szene.‘“ Die Probe klappte, der 18-Jährige war engagiert.
Tagsüber ging er seiner kaufmännischen Lehre nach, abends stand er auf der Bühne. Probiert wurde nach den Aufführungen, oftmals bis zum Morgengrauen. Lange ging das nicht gut, dann gab Uwe Friedrichsen die bürgerliche Existenz auf und verschrieb sich ganz dem Theater. Alles machte das zehnköpfige Team selbst: „Wir bauten die Scheinwerfer aus alten Marmeladendosen, weil die innen so schön reflektierten“, erinnert sich Meves. „Und ich ging zum Schlachter rüber, um Wurstenden für den Hund zu holen – die wir selbst aßen“, ergänzt Friedrichsen.
Die Mühe hat sich gelohnt, Friedrichsens Aufstieg ging schnell, glaubt man den Kritikern jener Tage: August 1953, Hamburger Abendblatt: Uwe Friedrichsen hat „unleugbare Begabung“. Oktober 1954, Hamburger Fremdenblatt hält den „ungemein vitalen und bühnensicheren“ Friedrichsen für reif, sich „auch auf größeren Bühnen behaupten“ zu können. 1955 bittet Ida Ehre ihn für ein Stück in die Kammerspiele, ehe Gustav Gründgens ihn 1956 ans Schauspielhaus holt.
Das war nicht die einzige Veränderung des Jahres für das Theater: Scholz geht nach Peru, sein Nachfolger als Intendant wird Meves. Eine seiner ersten Aufführungen war ein Brecht-Abend. „Wir waren das einzige Theater in Hamburg, das den Tod Brechts im August 1956 zur Kenntnis genommen hat.“ Die anderen Theater der Stadt waren nur zehn Jahre nach Kriegsende saturiert, klassisch und pompös, im Theater 53 unter Meves kamen derweil die zeitgenössischen Dramatiker auf die Bühne: Ionesco, Beckett, Genet.
Die nächste Zäsur war Anfang 1959 der Umzug vom Rothenbaum in den Keller unter einer Eckkneipe an der Landwehr 27. Der Eilbeker Heimatforscher Karl-Heinz Meier erinnert sich: „Unwissende Kneipengäste hatten manches Mal Schlimmes befürchtet, wenn aus dem Boden unter ihnen markerschütternde Schreie und Pistolenschüsse zu hören waren.“ Aber für Insider der Hamburger Theaterszene war das 130 Plätze-Theaterchen eine feste Größe. Das erste Stück am neuen Ort hieß „Vorspiel“ und war ein solches. Der uraufgeführte Einakter stammt aus der Feder eines gewissen Günther Grass.
„Mit dem guten Ruf unseres unabhängigen Theaters kam eines Tages ein Mensch von der Kulturbehörde und sagte: ,Sie müssen einen vernünftigen Ofen haben. Wir sind bereit, Ihnen was dazuzuschießen.‘“ Meves vermutet, dass sich die Behörde an den beginnenden Erfolg des Theaters hängen wollte. „Seitdem mussten wir Bücher führen. Als ich den Laden dichtgemacht hatte, hab ich nachgerechnet: Alle Subventionen von der Behörde sind für die Sekretärinnen, die wir seitdem brauchten, und für den Steuerberater rausgegangen. Das Beste war der Ofen.“ Das liebe Geld brach dem Theater 53 denn auch im Jahr 1966 das Genick. Gründgens hatte eine Werkstattbühne gegründet, die dem Theater 53 das Publikum entzog.
„Für mich war das Theater 53 die Möglichkeit, in den Beruf hineinzukommen“, sagt Friedrichsen. Scholz hatte Studenten als Lehrer für seine jungen Schauspieler engagiert. So bekam Friedrichsen etwas Unterricht.
Sonst hätte er womöglich niemals Peter Falk und Jerry Lewis mit seiner prägnanten Stimme synchronisieren können. Denn seine Muttersprache ist Plattdeutsch. „Deshalb freue ich mich ganz besonders, dass ich mir zu meinem 50. Bühnenjubiläum einen alten Wunsch erfüllen konnte: Zum ersten mal auf der Bühne Platt sprechen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen