: Hutschnur auf dem Holzweg gerissen
Ausstieg der Grünen aus den Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz: Parteikollegen im Norden erleichtert. Druck aus Bremen erfolgreich, das „Trauerspiel zu beenden“. Auch Hamburger und Kieler Grüne loben „konsequenten Schritt“
von Markus Jox und Eva Weikert
Schon am Vormittag hatte sich Matthias Güldner hoffnungsfroh gegeben: „Eben habe ich eine SMS von Parteichef Reinhard Bütikofer erhalten“, so der Fraktionsvize der Grünen in der Bremer Bürgerschaft. Die Message: Der Parteirat in Berlin diskutiere gerade einen Antrag, den Fraktions- und Landesvorstand der Bremer Grünen in die Hauptstadt gefaxt hatten mit der Bitte: „Sofort vorlegen“. Das Gremium wurde darin angehalten, „die Beteiligung an den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses Zuwanderungsgesetz für beendet zu erklären“. Nur wenige Stunden nach Bütikofers SMS erfüllte sich die Forderung: Die Grünen-Spitze in Berlin kündigte die Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz auf.
Am Wochenende hatten Regierung und Opposition in Berlin ihre Gespräche abgebrochen, ohne einen neuen Termin zu vereinbaren. Ein Hauptstreitpunkt war die Frage, ob mutmaßlich gefährliche Ausländer in Sicherungshaft genommen werden sollen. Der Grüne Volker Beck hatte daraufhin seiner Partei geraten, die Verhandlungen endgültig abzubrechen und gestern Rückenwind von den Nord-Grünen bekommen.
Offenbar hielten allein die SPD und ihr Innenminister Otto Schily „auf Teufel komm raus“ an den Gesprächen fest, kritisierte Güldner. Die Grünen und ihr Verhandlungsführer Beck hätten die Sitzungen des Vermittlungsausschusses bislang „in heroischer Haltung und mit vollkommen unerklärlicher Geduld“ ertragen. Ihm selbst aber sei „die Hutschnur“ mittlerweile „vollkommen gerissen“, so der Bremer Migrationspolitiker. Man wolle sich „von der Union nicht weiter aus niederen Beweggründen vorführen lassen“, hieß es in dem Schreiben der Bremer Grünen an die Berliner. Wegen der „ständig wechselnden und destruktiven Haltung von CDU/CSU“ seien die Gespräche endgültig „in einer Sackgasse“ angelangt. Mithin sei ein „klarer, wenn auch schmerzlicher Schnitt, um das Trauerspiel zu beenden“ das Beste, so Güldner.
Er sehe weder Perspektiven für eine gesteuerte Zuwanderung noch größere Fortschritte in humanitären Fragen, monierte er. Was den Schutz vor nichtstaatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung angehe, habe die Union immer wieder Rückzieher gemacht. Das im ursprünglichen Gesetzentwurf von Rot-Grün geschnürte Integrationspaket, das gerade für Großstädte wie Hamburg und Bremen wegen ihres hohen Migrantenanteils wichtig sei, habe die Union „ins Gegenteil pervertiert“, schimpfte Güldner. Es gebe allerdings „auch ein Leben nach dem Tod“, machte er Mut: Rot-Grün solle jetzt wenigstens die Gesetzesteile im Bundestag verabschieden, bei denen die Regierung nicht auf die Zustimmung der Länder angewiesen ist.
Auch die Grünen in Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein begrüßten den Ausstieg aus den Verhandlungen. „Das ist der einzig konsequente Schritt“, lobte die GAL-Fraktionschefin in der Hamburger Bürgerschaft, Christa Goetsch. Schließlich brächte der Forderungskatalog der Union statt Verbesserungen zum aktuellen Ausländerrecht „handfeste Verschlechterungen“, so Landes-Vize Jens Kerstan. Für die Unionsforderung etwa nach Streichung des Rechtsanspruchs auf Integration „geben wir uns nicht her“.
Im Nachbarland Niedersachsen erklärten die Grünen: „Wir gehen den Weg nach Guantanamo nicht mit.“ Wegen der „alten und problematischen Kamellen“, welche die CDU/CSU hervorhole, „gibt es keine Chance mehr, zu verhandeln“, so Stefan Wenzel, Fraktionschef im Landtag. Damit meint er etwa den Vorschlag einer ungeprüften Ausweisung aller Ausländer mit Haftstrafen von über einem Jahr, den die Union schon 1996 durchzuboxen versuchte. Solche Forderungen nach Verschärfung des Ausländerrechts verhinderten die nötige Debatte um Integration und Zuwanderung, warnten auch Schleswig-Holsteins Grüne. Sprecher Björn Pistol: „Die Union ist damit auf dem Holzweg.“
weitere berichte SEITEN 1 & 3
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen