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Der Kiez der Zugewanderten

Eine Fotoausstellung zeigt Leute, die im Kreuzberger Wrangelkiez leben. Texte und persönliche Gegenstände erzählen zudem, wo sie herkamen und warum sie jetzt hier leben. Die Initiatoren wollen damit den Dialog unter den Anwohnern verstärken

VON CHRISTIAN VATTER

„Die Hippen aus Prenzlauer Berg und Mitte haben den Bezirk entdeckt. Die langweilen sich dort, weil es keinen Spaß macht, nur hippe Leute anzugucken.“

Dorothee Kolschewski

In 15 Schaufenstern rund um die Wrangelstraße hängen Porträts von Bewohnern des Kiezes. „Menschen im Wrangelkiez“ heißt die Ausstellung. Sie zeigt die Leute dort, wo sie auch leben – zwischen Wiener Straße und Spree, zwischen Landwehrkanal und Skalitzer Straße. Auf den Schautafeln schildern sie ihren Lebensweg und warum sie nach Berlin gekommen sind.

„Ich habe in Kolumbien Abitur gemacht. Als Belohnung durfte ich meine Cousine in Berlin besuchen: Hier habe ich mich verliebt, in einen blonden Mann mit blauen Augen, einen Polizisten.“

Gloria Sommer-Méndez

Der Kreuzberger Kiez gilt als „multikulturell“. Fast 40 Prozent der Menschen sind nichtdeutscher Herkunft. Es gibt viele kleine Läden, soziale Projekte und eine hohe Arbeitslosenquote. Die Porträtierten erzählen, was so besonders an ihrem Kiez ist und warum sie dort leben.

„Ich wohne in der Görlitzer Straße. Man fällt aus der Tür direkt in den Görlitzer Park, das ist klasse. Und man kennt den Gemüsehändler persönlich.“

Ulrike Gonzales

Jeder hat ein paar private Fotos ausgewählt, die auch zu sehen sind. Auf einer Säule neben der Schautafel liegt ein Gegenstand, der der Person viel bedeutet. Die Lieblingsschuhe, eine pakistanische Trachtenpuppe oder der Plastikhummer einer Fischhändlerin.

Die Idee für die Ausstellung hatten Carsten Borck vom Nachbarschaftshaus Centrum Cuvrystraße und Yolanda Arias vom Quartiersmanagement. „Wir wollten mit der Ausstellung die Besonderheit des Viertels zeigen: Alle sind Zugewanderte. Ob sie nun aus Benin City, irgendeinem Dorf in Anatolien oder aus Dortmund kommen“, sagt Arias. Und man wolle so den Dialog im Kiez fördern. „Hier ist es sehr dörflich, man kennt sich vom Sehen. Wenn man dann den Afro-Shop-Betreiber auf dem Bild sieht und seine Geschichte liest, spricht man ihn vielleicht darauf an.“

„In meinen Laden kommen vor allem junge Leute, Deutsche und Türken, sie kaufen Haargel und solche Sachen. Ältere Türken kommen kaum, vielleicht wegen der nackten afrikanischen Frauenfiguren im Schaufenster.“

Anthony Imalele Godspower

Roter Faden der Texte ist die Frage nach der Heimat. „Die ist da, wo ich lebe und meine Freunde sind“, fasst Yolanda Arias die Meinungen der Porträtierten zusammen. Die Menschen seien aus den verschiedensten Gründen hergekommen: wegen der Liebe oder auch schon als Kind mit den Eltern. Alle hätten sich mittlerweile im Wrangelkiez eine eigene Existenz aufgebaut. „Und man merkt, die Leute sind hier angekommen.“

„1987 habe ich bei Fisch Schmidt als Aushilfe begonnen. Drei Generationen war das Geschäft in der Hand der Familie Schmidt, die vierte Generation wollte nicht mehr, da habe ich den Laden übernommen.“

Ayse Andic

Die Texte wirken sehr natürlich, so als ob man sich mit der Person unterhält. Sie entstanden durch Interviews, die alle in Deutsch geführt wurden. Zwischen den Zeilen ist der Text ein zweites Mal abgedruckt – in der Muttersprache des Interviewten. Neben Türkisch und Spanisch findet man Sprachen wie Urdu oder Edo. „Edo ist eine Sprache aus Nigeria. Der Interviewte war im Urlaub und wir fanden keinen Dolmetscher: In ganz Europa gibt es keinen“, sagt Carsten Borck, „zum Glück kam der Porträtierte rechtzeitig aus dem Urlaub zurück.“

Dass der Wrangelkiez ein „Multikulti-Viertel“ ist, scheint für alle reizvoll zu sein. So auch für Kosja Haase, der kurdischen und türkischen Kindern im Kiez Hausaufgabenhilfe gibt. Aber er kennt auch Konflikte:

„Meistens kommen alle ganz gut miteinander zurecht. Manchmal gibt es aber leider auch Ärger zwischen den einzelnen Gruppen. Ich finde das ziemlich beknackt, denn wir sind im Grunde alle gleich, nämlich Menschen.“

Kosja Haase

Alle, die gefragt wurden, seien gleich bereit gewesen seien, sich abbilden zu lassen, sagt Arias: „Die Menschen wollen ihr Viertel mitgestalten, und sie unterstützen die Idee, sich vielfältig darzustellen.“

Die „Menschen im Wrangelkiez“ sind bis 12. Juli zu sehen. Ein Übersichtsplan im U-Bahnhof Schlesisches Tor, Gleis 2, weist den Weg zum Rundgang. Aber auch bei jedem Porträt zeigt eine kleine Karte, wo die anderen Bilder zu finden sind, so dass man auch mittendrin einsteigen kann.

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