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Lifestyle trotzt Stasi

Der US-Verlag Condé Nast, der „Vogue“ herausgibt, stellt sich nach IM-Vorwürfen hinter seinen deutschen Chef

Lange nichts gehört von der Stasi. Wurden Anfang der Neunziger Inoffizielle Mitarbeiter fast täglich medial enttarnt, ist diese Art von Enthüllungsjournalismus längst in die Randspalten verdrängt. Zuletzt schaffte es der Geschäftsführer der Leipziger Olympia GmbH, Dirk Thärichen, in die Schlagzeilen – mit einem eher unbedeutenden Posten als ehemaliger Soldat des Wachregiments Felix Dzierzinski. Und das auch nur, weil sich die Olympia-Vorbereitungen in einer sensiblen und für solche Vorwürfe anfälligen Phase befanden.

Gestern aber präsentierten die Nachrichtenmagazine Spiegel und Fokus eine verspätete Enthüllung. Der Manager der deutschen Tochter des internationalen Glamour-Verlagshauses Condé Nast, Bernd Runge, hat den Berichten zufolge neun Jahre lang als Inoffizieller Stasi-Mitarbeiter (IM) gearbeitet. Das soll aus der so genannten Rosenholz-Datenbank hervorgehen, die 1990 vom US-Geheimdienst erbeutet und erst im vergangenen Jahr zurückgegeben wurde.

Die Entdeckung ist umso prickelnder, als der 43-jährige Runge als Herausgeber von Lifestile-Blättern wie Vogue und GQ in einem Universum residiert, das keinerlei Berührung zum grauen Charme des Ministeriums für Staatssicherheit zu haben schien. Erst im vorigen Jahr wurde er zum „Medienmann des Jahres“ gekürt.

Den Akten zufolge soll Runge während seines Studiums in der Sowjetunion 1981 von der Stasi kontaktiert und drei Jahre später als IM „Olden“ für die Hauptabteilung Aufklärung angeheuert worden sein. Für die Abteilung von Markus Wolf habe Runge während seiner Tätigkeit als Ungarn-Korrespondent der Nachrichtenagentur ADN Kontakte zu ausländischen Kollegen hergestellt und Berichte über sie geschrieben. Diese Dokumente liegen allerdings nicht vor. Die Wissbegier des ehrgeizigen Journalisten sei so weit gegangen, dass er selbst die eigene Schwester aushorchte, die einen Ausreiseantrag gestellt hatte.

Den jetzigen Arbeitgeber Runges, das US-amerikanische Verlagshaus Condé Nast International, lässt die Aufregung in der deutschen Presse kalt. Chairman Jonathan Newhouse hat dem Vizepräsidenten Runge das Vertrauen ausgesprochen. Was vor fast zwanzig Jahren unter völlig anderen innen- und weltpolitischen Bedingungen gewesen sein mag oder nicht, sei einseitig und eindimensional nicht darstellbar. „Ich kenne die veröffentlichten Artikel über Bernd Runge und über Aktivitäten aus lang zurückliegender Vergangenheit. Ich messe diesen Veröffentlichungen keine weitere Bedeutung bei“, sagte Newhouse. Auch die Schwester Runges entledigte sich gestern der ihr zugedachten Opferrolle: „Hier wird der Eindruck erweckt, mein Bruder habe mich verraten. Dies ist absolut unzutreffend.“

ANNA LEHMANN

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