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Berlin liegt an der Seine

Kulturaustausch mal anders: 13 Pariser Galerien zeigen zwei Wochen lang ihre Kunst in Berlin. Im Februar werden dann 11 Berliner Galerien in der französischen Hauptstadt ausstellen. Die beteiligten Galeristen sind schon mal begeistert

VON KITO NEDO

Klischees mag Cédric Aurelle, der Kunstbeauftragte der Französischen Botschaft in Berlin, keineswegs. Besonders die Vorurteile über die angeblich so verschnarchte Pariser Kunstszene gehen dem Leiter des Bureau des Arts Plastiques (BDAP) mit Büro im „Maison de France“ am Kurfürstendamm gewaltig auf die Nerven. Die französische Metropole, so Aurelle, hat viel mehr zu bieten als nur Notre Dame und Sacré-Coeur und Père Lachaise – wer genauer hinsehe, könne derzeit eine Menge interessanter Kunst an der Seine entdecken: „Die Szene befindet sich im Umbruch.“

Doch wie man diese frohe Botschaft im kunstgesättigten Berlin unter die Leute bringt, darüber zerbrach sich der Kulturlobbyist, der vor zwei Jahren seinen Berliner Posten antrat, lange den Kopf. Eines war Aurelle klar: Die Zeiten der großen Gruppenausstellungen, deren einzige Legitimation die nationale Klammer ist, sind passé. Zudem hätte ein solches Projekt ein weiteres Klischee bekräftigt: den hohen Grad an Protektionismus des französischen Staates gegenüber seinen Kulturproduzenten.

Statt sich also in Verhandlungen mit den hiesigen großen Museen zu begeben, suchte der Mann vom BDAP im Frühjahr des vergangenen Jahres Kontakt zu jenen, die maßgeblich für den Erfolg Berlins als Kunstmetropole der Neunziger- und Nullerjahre verantwortlich sind: den Galeristen.

Dort stieß er mit seiner Idee eines gegenseitigen Galerienausstauschs zwischen den beiden Hauptstädten auf großen Enthusiasmus. Wenn für die nächsten beiden Wochen in den Ausstellungsräumen von 11 Berliner Galerien – darunter Esther Schipper, Isabella Bortolozzi, Sassa Trülzsch, Croy Nielsen oder Carlier-Gebauer – 13 Pariser Galerien wie Air de Paris, Almine Rech, Lucile Corty oder Kamel Mennour ihr Programm präsentieren, hat Aurelle sein Ziel erreicht: eine sofortige Sichtbarkeit, dort, wo auch sonst die Kunst in hoher Dichte zu sehen ist.

Im Februar folgt der zweite Teil, dann stellen die Berliner für einen halben Monat in Paris aus. Auch wenn er letztendlich für die Auswahl der Austauschteilnehmer verantwortlich war, aus der Programmgestaltung der einzelnen Galerien hielt sich Aurelle heraus, die Französische Regierung zahlt lediglich die Transportkosten und unterstützt das Projekt mit Öffentlichkeitsarbeit und Werbung – das Budget umfasst immerhin zwischen 30.000 und 40.000 Euro.

Die teilnehmenden Galerien waren weder gezwungen, ausschließlich französische Kunst zu zeigen, noch mussten sie sich auf zeitgenössische Kunst beschränken. Deshalb gibt es einige Überraschungen. So lud der Berliner Galerist Mehdi Chouakri, selbst gebürtiger Franzose algerischer Abstammung, der seit Mitte der Neunzigerjahre sehr erfolgreich in Berlin arbeitet, die Pariser Traditionsgalerie 1900–2000 ein, eine Ausstellung zur klassischen Moderne zu zeigen. Mit rund 60 Exponaten genügt „De Dada au Surréalisme“ musealen Ansprüchen: Marcel Fleiss und sein Sohn David schickten unter anderem Zeichnungen und Fotos von Hans Bellmer, Multiples von Duchamp und Collagen von Kurt Schwitters nach Berlin.

Vieles, so Chouakri, sei überhaupt zum ersten Mal in der Stadt zu sehen, tatsächlich faszinieren die bedrohlichen Gemälde Konrad Klaphecks, wie etwa „Erwartung“ (1959), das eine Art Kreuzung zwischen Büromaschine und Sprengvorrichtung zeigt, oder die Modefotografien aus den Jahren 1929 und 1930 der deutschen Fotografin Germaine Krull. Nachdem die Künstlerin 1920 in der Folge der Niederschlagung der Münchner Räterepublik Bayern verlassen musste, lebte sie ab Mitte der Zwanziger in Paris, wo sie als Teil der Avantgarde den neusachlichen Stil in der Fotografie propagierte.

Warum sich der eigentlich auf lebende Künstler wie Gerwald Rockenschaub oder Sylvie Fleury spezialisierte Chouakri plötzlich die gut abgehangene Gediegenheit der klassischen Moderne ins Haus holt, kann er leicht erklären: „Paris hat eine außergewöhnliche Tradition im Kunsthandel, dies im Rahmen des Austauschprogramms zu zeigen, war mir wichtig.“

Sein Kollege David Fleiss ergänzt, dass die Beziehung zwischen Gegenwartskunst und klassischer Moderne mitnichten nur eine Frage historischer Ahnenforschung sei: Viele große Zeitgenossen gehörten auch zu seinen besten Kunden – Jeff Koons etwa ist begeisterter Picabia-Sammler.

Doch Präsentationen wie die bei Chouakri oder in den Räumen von Johann König, wo die Pariser Galerie Almine Rech Arbeiten der amerikanischen Fotografin Taryn Simon sowie Regalobjekte des gebürtigen Israelis Haim Steinbach zeigt, bilden die Ausnahmen von der Regel.

Wer junge, französische Kunst sehen will, findet sie etwa in der Galerie Christian Nagel am Rosa-Luxemburg-Platz, wo zum Beispiel mit „Les Ambitieux“ (2008) eine faszinierende Collagen-Serie von Renaud Auguste-Dormeuil gezeigt wird. In bester Cut-up-Manier beschäftigte sich der Franzose mit historischen Fotografien von Politikern, Militärs, Aufständischen und Revolutionären und raubte den Fotos durch zwei Schnitte einfach die repräsentative Mitte. Die Pose der Macht schrumpft so zur körperlosen Silhouette und regt zum Nachdenken über das Regieren im Bildraum an.

Was wohl der französische Botschafter bei seinem Galerienrundgang dazu sagen wird? Vermutlich wird er sehr zufrieden sein. Gerade weil die konzertierte Aktion ein disparates Bild der Pariser Galerienszene zeichnet, funktioniert „Berlin–Paris“ hervorragend. So smart war Kulturdiplomatie selten.

„Berlin–Paris. Ein Austausch zwischen Galeristen der zwei europäischen Kunstszenen“. Berlin, verschiedene Orte: 9.–18. 1. 2009, Details: www.berlin-paris.fr und ausliegende Faltpläne

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