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Knopf ab? Kaffee trinken!

Immer mehr Bars, Kneipen und Cafés bieten neben Getränken und Gaumenfreuden auch Vergnügen und Dienstleistungen an: waschen, Hosen kürzen, mit Fischen surfen, CDs brennen, lesen

VON CHRISTINE BERGER

Edith, Annie, Neil und Tina warten auf Kundschaft. In einem kleinen Salon hinter dem Gastraum des Grad Celsius gähnen die edelstählernen Waschmaschinen gleichen Namens einem strahlenden Tag entgegen. Im Café ist schon mehr los. Vincent Campmann, Übersetzer und Psychiater in einer Person, hämmert auf sein Notebook ein. Am Tisch nebenan tagen die Mitarbeiter eines Fitnessclubs und frühstücken dabei ausgiebig. Wäsche gewaschen hat von den Herren noch niemand hier, aber „das ist ein guter Ort zum Arbeiten“, meint Campmann und deutet auf die Steckdose hinter seiner Sitzbank.

Dass Cafés, Kneipen und Bars immer auch Orte sind, wo Gäste nicht nur gerne einen trinken gehen, ist schon lange bekannt. Flipper, Kicker, Billard, Skat- und Schachturniere sowie Kunstausstellungen oder Fußballfernsehen und Kindertheater sind traditionell Angebote, die Publikum ziehen.

Nun haben die Gastronomen auch noch das gesamte Spektrum an Dienstleistungen für sich entdeckt. Im Grad Celsius etwa, das im Dezember 2003 in Prenzlauer Berg seine Ecktür erstmals öffnete, kann man nicht nur selber waschen, sondern auch im Näh-Atelier einen Knopf annähen oder die Hose kürzen lassen. Vorausgesetzt, der Kunde hat eine Ersatzhose dabei, denn in Unterhose darf hier niemand sitzen. Auch Theaterkostüme werden in Auftrag gegeben, und Gardinennähen kostet zwei Euro pro Meter.

„Früher war das Näh-Atelier im Pfefferwerk, aber da war zu wenig Laufkundschaft“, so Eva Schwenkow, die das Café managt. Da sei die Idee gekommen, sich an ein Café anzudocken. Seitdem läuft das Geschäft mit Nadel und Faden besser, und schon so mancher Gast hat festgestellt, dass es gar nicht teuer sein muss, einen neuen Reißverschluss mal von einer Expertin einnähen zu lassen.

Ob Kunden nun kommen, um Kaffee oder Bier zu trinken und nebenbei gerne etwas erledigen lassen, oder hauptsächlich wegen der angebotenen Dienstleistung kommen, ist eine Frage des Angebots. Internetcafés etwa leben in erster Linie davon, dass Leute chatten und surfen wollen. Nebenher wird auch mal Caffè Latte getrunken oder nach einem Röllchen Sushi verlangt. Letzteres bietet das Surf & Sushi in der Oranienburger Straße. Auch in der Kopierbar am Rosenthaler Platz geht es eher ums CDs-Brennen und Downloaden als ums Cocktailnippen.

Ein Geheimtipp für Bücherwürmer, die gern kostenlos in brandneuer Literatur schmökern, ist das Café im ersten Stock der Buchhandlung Hugendubel in Charlottenburg. Dort lassen sich gemütliche Stunden mit den Offerten aus den Regalen verbringen, zumal es dort für ein Bücherkaufhaus erstaunlich ruhig zugeht. Sogar Kinder haben diesen Ort für sich entdeckt, und während man den Nachwuchs im Brockhaus blättern lässt, kann man ganz entspannt in der Nachbarschaft dem Shopping huldigen. Dass später das eine oder andere Buch tatsächlich auch gekauft wird, ist der vom Kaufhaus einkalkulierte Nebeneffekt des Lesecafés.

Manch einer sehnt sich allerdings nach den Zeiten, als es noch üblich war, eine Kneipe aufzusuchen, ohne sich einen Mehrwert davon zu versprechen. Ein gepflegtes Bier, ohne Teilnahme an einem Zigarettengewinnspiel, offeriert von feschen Werbejunghühnern, etwa. Und keine Bilder an den Wänden mit kleinen Preisschildchen. Diese Orte gibt es noch, man muss nur suchen.

Grad Celsius, Greifswalder Str. 215, Prenzl. Berg, Tel. 48 48 66 06, Tram 2, 3, 4, Mo.–Fr. ab 8 Uhr, Sa., So. ab 10 Uhr. Surf & Sushi, Oranienb. Str. 17, Mitte, Tel. 28 38 48 98, Mo.–Sa. 12 Uhr bis Open End, So. 13 Uhr bis Open End, Happy Hour Mi., So. ganztags, Fr. 12 bis 18 Uhr, Sa. ab 22 Uhr. Kopierbar, Rosenthaler Str. 71, Mitte, Tel. 28 59 81 16, Mo.–Fr. 13–20 Uhr, Sa. 21–24 Uhr, U-Bahn: Rosenthaler Platz. Hugendubel, Tauentzienstr. 13, Charlottenburg, Tel. 2 14 06-0, Mo.–Sa. 10–20 Uhr

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