normalzeit: HELMUT HÖGE über die Ich-Armee
„Zur Kritik der autoritären Arbeitsgesellschaft“
Frei nach Tolstoi könnte man sagen: „Alle glücklichen Arbeitslosen ähneln einander, jeder unglückliche aber ist es auf seine eigene Art.“ Damit wäre nicht nur erklärt, warum sich die Arbeitslosen trotz zunehmender staatlicher Repression so schwer organisieren lassen, sondern auch, warum die Gewerkschaften sich höchstens verbal für sie einsetzen: Kaum haben die großen Maschinen, an die sie gebunden waren und die ihre Interessen kollektivierten, sie ausgespuckt, grämt sich jeder auf eigene Faust. Nur die wenigsten – politisierten zumeist – sind glücklich, „dass der Gesellschaft langsam die Arbeit ausgeht“.
Diese waren es wohl auch, die sich am 23. Juni im Kreuzberger „Kato“ zum Thema „Terror der Arbeit“ versammelten. Der Saal war voll, aber Podium und Publikum mangelte es an Ideen und Schwung, wie man der „autoritären Einschüchterung“ und „Hetze gegen Faule“ entgegentreten könnte. Robert von der Initiative „Anders arbeiten oder gar nicht“ meinte, „die Arbeitsgesellschaft entwickelt sich schier zu einer Schreckensherrschaft“. Harald vom „Antihartzbündnis Rhein-Main“ konkretisierte: „Forciert wird das dadurch, dass immer mehr Leute ihren Leistungsanspruch verlieren.“ Ziel der Ämter sei es, „durch höhere Kontaktdichte mehr Sperrzeiten zu verhängen“. Guillaume von den „Glücklichen Arbeitslosen“ zitierte Nietzsche: „Arbeit ist die beste Polizei“ und kam auf die zwei Ausgangsfragen seiner Gruppe zurück: „Wie wollen wir leben? Und was hindert uns eigentlich daran?“ Im Übrigen würden wir – die Arbeitslosen – „von den Gewerkschaften ebenso wenig verraten werden wie von der SPD oder der Polizei“. Auf die Frage, ob das Konzept „Glückliche Arbeitslose“ nicht elitär sei, antwortete Guillaume: „Nein! Entweder ist man vom Markt oder vom Staat abhängig oder von beidem. Wird der Sozialstaat abgebaut, müssen wir uns eben was Neues einfallen lassen.“ Dazu hatte bereits Alexander Solschenizyn gemeint: „Es geht nicht darum, immer mehr zu verdienen, sondern immer weniger zum Leben zu brauchen.“
Harald aus Frankfurt kam noch einmal auf den Widerstand gegen Leistungsabbau zu sprechen, der kaum vorhanden und erst recht nicht „schlagkräftig“ sei. Das liege 1. an den Gewerkschaften, die diesbezüglich nur Scheinaktivitäten entfalteten, 2. am Sozialverband VdK, der sich sogar für Sozialhilfekürzungen einsetze, 3. an den Arbeitern und Angestellten, die sich nie an Aktionen von Arbeitslosen beteiligen würden (höchstens umgekehrt), 4. an den linken Gruppen (wie Antifa, Attac etc.), die partout nicht zusammenkämen und 5. an den Arbeitslosen selbst, die schwer zu mobilisieren seien. Dennoch kein Grund zu verzweifeln: „Mit der Agenda 2010 wird den meisten nichts übrig bleiben, als sich kollektiv zu wehren!“
Anne von der Initiative „Anders arbeiten“ zählte nochmal alle Berliner Aktivitäten seit vergangenem Jahr auf: von den Veranstaltungen des Antihartz-Bündnisses über die „Ich-Armee-Demo“ vorm Estrel bis zur Initiative Bankenskandal – mit der übrigens eine Diskussion im Haus der Demokratie stattfand, wo es auch um jene 380.000 unglücklichen Bürger ging, die von den Banken mit unvermietbaren Eigentumswohnungen ins Elend gestürzt wurden und seitdem darum kämpfen, dass diese ihre Scheißimmobilien wieder zurücknehmen. Einige haben sich aus Verzweiflung bereits das Leben genommen, andere bekommen bei jedem Inkassoschreiben Panik. Man kann einen Menschen mit einer Eigentumswohnung erschlagen wie mit einer Axt! Auch das gehört zum „Terror der Arbeit“, denn die überschuldeten Eigentümer besaßen beim Kauf noch eine kreditwürdige Festanstellung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen