: Auferstanden aus Ruinen?
Er muss nicht Parteichef sein, sagt Lothar Bisky und glaubt, darin liege seine Stärke. Aber genau das ist seine Schwäche. Er kann nicht so, wie er will
aus Berlin JENS KÖNIG
Es ist gut, dass Lothar Bisky und Gabi Zimmer in diesen Tagen immer gemeinsam auftreten. An diesem Mittwoch sitzen sie auf einem abgewetzten Sofa im Roten Salon der Berliner Volksbühne. Hier der ehemalige Parteichef, der auch der zukünftige Parteichef sein wird. Bisky im grauen Anzug, mit stoischem Blick, gelassen, erfahren, hart am Rande zur Langeweile. Dort die amtierende Parteivorsitzende, die Bisky beerbt hat und das Amt jetzt wieder an ihn zurückgibt. Zimmer sieht müde aus, abgekämpft, zermürbt, ratlos.
Dieses Bild erzählt die ganze Geschichte der PDS. Die Vergangenheit soll die Zukunft sein, weil die Gegenwart so trostlos ist. Dass die kleine Ostpartei einmal das Enfant terrible der bundesdeutschen Gesellschaft war, daran erinnert an diesem Tag im Roten Salon nicht einmal mehr der radikale Chic von Frank Castorfs Volksbühne.
Ab Montag wird Lothar Bisky alleine sein, ohne Gabi Zimmer, mit einer unbekannten neuen Parteiführung an seiner Seite. Der Sonderparteitag am Wochenende wird Bisky wählen, daran besteht kein Zweifel. Er ist der einzige Hoffnungsträger, den die Partei im Moment hat. An ihm wollen sich die Genossen wieder aufrichten. Aber wahrscheinlich werden sie sich an ihrem Vorsitzenden nur festhalten.
Mehr als von der Sehnsucht nach einem Aufbruch der PDS sind die Genossen von dem Wunsch getrieben, dass sich in ihrer Partei endlich alle wieder vertragen. Die Niederlage bei der Bundestagswahl, der Chaosparteitag von Gera einen Monat später, als die Traditionalisten über die Reformer triumphierten, die Wachbuchaffäre um Parteivize Diether Dehm (siehe Text unten), die dauernden Intrigen im Karl-Liebknecht-Haus, die daraus resultierende Führungskrise – die meisten Genossen schütteln über ihre Führung nur noch den Kopf. Sie verstehen nichts mehr.
Mit ihrem Lothar, dem guten Menschen der PDS, der die Partei von 1993 an acht Jahre lang geführt hat, soll die Harmonie wiederkommen. Dabei ist ihr Lothar genau wegen dieser verlogenen Harmonie geflüchtet. Er hat als PDS-Vorsitzender zunehmend gelitten unter seiner Partei, unter ihrer Besserwisserei und ihrer geistigen Erstarrung. Er hatte genug davon, alle Genossen in sein großes Herz zu schließen und sie, trotz aller Richtungskämpfe, miteinander zu versöhnen. Er schmiss den Vorsitz hin und beschloss, 2004 in seinen Beruf als Medienwissenschaftler zurückzukehren.
Jetzt kommt er wieder. Er sagt, dass ihm der Zustand der PDS körperliche Schmerzen bereite: „Ich kann doch nicht meine Privathobbys pflegen, wenn es meiner Partei dreckig geht.“ Über sein schlechtes Gewissen, vor drei Jahren seinen designierten Nachfolger Dietmar Bartsch durch Ungeschicklichkeit verhindert und die unbekannte Gabi Zimmer als neue Parteichefin zugelassen zu haben, spricht Bisky nicht.
Ein Neustart mit einem 61-Jährigen, der schon raus war aus der Politik? „Ich bin eine Notlösung“, sagt Bisky ganz offen. Er glaubt allerdings, dass genau darin seine Stärke liegt. Er muss nicht Parteichef sein. „Ich mache keine faulen Kompromisse mehr“, sagt Bisky. „Wenn ich mich nicht durchsetzen kann, dann gehe ich. Dann ist eben alles vorbei.“
Diese vermeintliche Stärke ist Biskys tatsächliche Schwäche. Er kann nicht so, wie er will. Die PDS, die er heute übernimmt, ist nicht mehr dieselbe, die er im Jahre 2000 verließ. Bisky hat in den vergangenen Wochen die Seele seiner Partei erkundet. Über den Befund war er selbst überrascht. Viele alte Genossen seien geradezu verzweifelt, weil bei den Diskussionen über den Mauerbau oder den 17. Juni 1953 nicht einmal mehr die PDS die DDR verteidigen würde, erzählt er. Und viele Parteimitglieder witterten überall nur noch Verschwörungen. Die bräuchten immer einen Feind, George Bush, Gerhard Schröder oder die eigenen Führungsleute. „Ich habe meine Partei neu kennen gelernt“, sagt Bisky und guckt dabei schon wieder so müde wie damals, kurz vor seinem Rücktritt.
Ausdruck von Biskys Schwäche ist alles, was er vor diesem Sonderparteitag anfasst. Mit Gabi Zimmer zusammen hat er einen Leitantrag vorgelegt, der suggeriert, die Krise der PDS sei das Resultat persönlicher Querelen in der Führung. Der politische Kern der Auseinandersetzung – die PDS als konkurrenzfähige linke Reformpartei oder als stramm antikapitalistischer Protestverein – wird darin bewusst nicht benannt. Die Alternativen zur rot-grünen „Agenda 2010“ bleiben sehr allgemein. Bisky verzichtet bei seinen Personalvorschlägen für den Bundesvorstand bewusst auf Vertreter der zerstrittenen Parteiflügel. Bartsch, Claus, Pau, Sitte – von den bekannten Reformpolitikern ist nichts zu sehen. Damit fehlen dem Vorstand die Kräfte, die in der Lage sind, das strategische Dilemma der PDS aufzulösen. Roland Claus, der ehemalige Fraktionschef im Bundestag, befürchtet einen „gigantischen Sieg des Mittelmaßes“.
Bisky hat dafür eine Ausrede. Die 428 Delegierten des Sonderparteitages in Berlin sind die gleichen wie in Gera. Denen könne man nicht zumuten, nach einer neuen Führung auch noch eine neue Politik zu wählen. Also verliert Bisky kein kritisches Wort über seine Vorgängerin, die in Gera gefeiert wurde. Zimmer wird ein gesichtswahrender Rückzug ermöglicht. Als Gegenleistung soll sie mit ihrem Verzicht auf einen Vorstandsposten die Wiederwahl ihrer ärgsten Widersacher vom orthodoxen Flügel, Diether Dehm und Bundesgeschäftsführer Uwe Hiksch, verhindern.
Bisky verfolgt eine simple, nun ja, Strategie. Vom Parteitag soll ein Signal ausgehen: Die PDS macht ab jetzt wieder Politik. In den kommenden zwölf Monaten sollen dann die Voraussetzungen für eine zweite Erneuerung der PDS nach 1989/1990 geschaffen werden: ein neues Grundsatzprogramm im November, 2004 der Wiedereinzug ins Europaparlament und ein ordentliches Abschneiden bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Danach könnte die Arbeit am großen Ziel beginnen: dem Wiedereinzug in den Bundestag 2006. Im Herbst 2004 wird auf dem nächsten Parteitag schon wieder ein neuer Vorstand gewählt, in den könnten die Reformer dann zurückkehren. Bisky selbst geht davon aus, dass er bis 2006 bleiben muss. Öffentlich festgelegt hat er sich darauf nicht.
So richtig traut Bisky seiner „Strategie“ selber nicht. Deswegen ruft er immer wieder nach Gregor Gysi. Er will Gysi nur für ein einziges Unternehmen gewinnen: die Rückkehr in den Bundestag. 2006 soll Gysi das dritte Direktmandat für die PDS holen. Gysi hat bis jetzt nicht Nein gesagt. Weil Bisky sein Freund ist. Und weil er wahrscheinlich selbst nicht weiß, was aus seinem Leben werden soll. Im Moment ist Gysi nur Anwalt, der in einer Kanzlei von fünf Leuten das kleinste Zimmer hat.
Dietmar Bartsch warnt, jetzt schon wieder über 2006 zu reden. Der ehemalige Bundesgeschäftsführer gehört zu den Reformern, die auf ein Comeback hoffen. Er zieht im Hintergrund bis heute die Fäden. Er hat den Wechsel von Zimmer zu Bisky mit organisiert. „Wir sollten lieber an den nächsten Montag denken“, sagt Bartsch. „Bis jetzt deutet nichts darauf hin, dass wir wie Phönix aus der Asche steigen.“
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