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Die Renaissance des Bauches

Die Mode findet die Mitte des Körpers. Es wird wieder mit Hüllen gespielt, statt sie fallen zu lassen. Eine Annäherung an das schönste Rätsel des Sommers

„Du glaubst, Männer finden das attraktiv?“, fragt Bruce Willis in „Pulp Fiction“

von SUSANNE LANG

Flach oder rund – ein Unterschied, der selbst Bruce Willis beinahe aus der Coolness gebracht hätte. „Kugelbäuche sind sexy“, hieß die vielleicht schönste Erkenntnis der frühen 90er-Jahre. Gewidmet hat sie uns Quentin Tarantinos Französin Fabian. „Pulp Fiction“ von seiner kokettesten Seite: „Wenn ich einen hätte, würde ich ein zwei Größen zu kleines T-Shirt tragen, um ihn zu betonen.“ Und Bruce „The Butch“ Willis wäre nicht der Held der 90er, würde er selbst in diesem kritischen Augenblick nicht genau die richtige Frage stellen: „Du glaubst, Männer finden das attraktiv?“

Angekommen in den Nulljahren des neuen Jahrtausends, steht zumindest so viel fest: Niedersächsische Schulleiterinnen finden zwei Nummern zu kleine T- Shirts, die Schülerinnenbäuche frei zeigen, zwar nicht attraktiv, dafür um so skandalträchtiger. Und sie haben damit den Blick frei gemacht für das schönste Rätsel des Sommers: Wie kann ein kleiner Hauch von nackter Haut noch provozieren, wo Ganzkörpernacktheit nicht mehr und nicht weniger als ganz gewöhnlich gewordener, abgestumpfter Wahrnehmungsalltag geworden ist? Warum erregt ein Bauch die Gemüter, wenn selbst Nachrichtenmagazine wie der Spiegel in regelmäßig wiederkehrenden Ausgaben ihre Auflage mit Brust- und Ganznacktcovern steigern und die meisten über die Pläne der EU, gegen solche Nacktbilder mit einem Verbot vorzugehen, nur lächeln können?

Die Antwort ist so einfach wie aufregend: Bäuche sind ein klein wenig sexy. Ein Hauch von Bauch ist erotisch. Ein Hauch von gezeigtem Bauch eröffnet nichts anderes als das – ziemlich alte – Spiel vom Blick auf einen Spalt Unverhülltes, das die Fantasie anregt. Ob Kugel-, Flach- oder Moppelbauch – die Renaissance des Bauches scheint perfekt. Solange er eine Regel einhält: Das Gezeigte muss ganz verspielt erscheinen. Der Blick muss in der Fantasie mehr erhaschen können. Im Alltag. Ganz nebenbei. Zwischen Schulheft und U-Bahn-Fahrt. Ein kurzer Blick zwischen T-Shirt, Hüfthose und Bauchnabelpiercing, der davon träumen lässt, welche Geschichten sich brav verdeckt über und unter bauchfrei verbergen.

Das größte Rätsel der jüngsten bauchfreien Sommer aber ist, dass selbst der Blick auf den Kugelbauch ganz alltäglich schön sein kann. „Leider ist das, was wir gerne berühren, selten identisch mit dem, was wir gerne mit den Augen berühren“, sagt die Französin Fabian. Pulp Fiction von ihrer gar nicht so unkoketten Seite: Erotisch ist das Spiel mit der Fantasie, die genau das schon längst berührt hat, was das Auge nur sieht. Was aber ist das Geheimnis eines noch nicht mal flachen, sondern kugeligen Bauches, das auch ihn erotisch macht?

Natürlich gehört der Bauch längst den Frauen. Natürlich halten die Verona Feldbuschs und Demi Moores dieser Zeit ihre runden, schwangeren Bäuche in die Kameras und proklamieren, dass ihr Bauch ihnen gehört – und ganz anders als in den 60er-Jahren. Nur: Den Role-Model-Britneys und -Shakiras und niedersächsischen Schulmädchen dieser Sommertage liegt nichts ferner als die Proklamation einer neuen Mütterlichkeit. Sexy ist, was taff und selbstbestimmt ist. Sexy ist, was den Blick anzieht. Vorbei an nackten Playgirls und bloßen Brüsten, gegen die sich mit noch mehr Nacktheit schwer konkurrieren lässt.

Das Geheimnis des Bauches, das haben die Role-Model-Mädchen erkannt, liegt gerade in seiner Eigenschaft als Nichtgeschlechtsmerkmal. Verspielt dazwischen lassen sich auf der Bauchoberfläche die schönsten Geschichten erzählen. Piercing oder Tattoo sind da nur Pinselstriche. Das Geheimnis spielt um die Bauchmitte. Zeig mir deinen Bauch, und ich sehe, wer du bist. Der Bauch, das moderne Dekolleté, glaubt man Wolfgang Joop. Nabelschau, freier Blick auf das ausgestellte Ich. Intimer kommt der Blick nicht heran. Spielerischer auch nicht. Wer mehr und näher möchte, muss sich anstrengen.

Orientalische Kulturen sind den westlichen in dieser Ein- und Hinsicht schon lange voraus: Verführung beginnt mit einem Bauch, der tanzt, während der Rest des Körpers ganz selbstverständlich verhüllt bleibt. Ursprünglich ein ritueller Tanz zur Verehrung von Fruchtbarkeitsgöttinnen, wurde der tanzende Bauch bei seinem Import nach Europa bald erotisch konnotiert. In Frankreich musste der als „Schamteil“ bezeichnete Unterleib auf dem Tanzparkett still gehalten werden. Nicht ohne Grund schätzte selbst eine Dichter- und Denkerikone wie Johann Wolfgang von Goethe den fantasieauslösenden Blick auf orientalisch verhüllt-entblößte weibliche Körper.

Und heute? Zeigt wirklich eine Generation Schulmädchen-Lolita ihren Bauch ganz berechnend? Vielleicht sind die niedersächsischen Schulleiterinnenbedenken gar nicht so unberechtigt. Wer weiß schon, was sich männliche Blicke längst ertastet haben. Bremens Bildungssenator Willi Lemke (SPD) weiß es vielleicht. Warum sonst hätte er sich für etwas mehr „Bedecktheit“ an deutschen Schulen ausgesprochen?

„Ich gebe einen Dreck darauf, was Männer attraktiv finden“, würde Fabian sagen. Koketter geht die Pulp Fiction kaum mehr. Schöner eigentlich auch nicht. Und mancher Poptheoretiker stimmt bereits wieder den Abgesang der Bauchfrei-Erotik an. Vor einigen Indizien dafür kann man die Augen auch kaum verschließen. Wenn Frauen vom Typ Uschi Glas in diesen Tage mit ihren fast 60-jährigen Bikinibäuche in Hochglanzmagazinen posieren, ist die Muttergeneration da angekommen, wo die Mädchen nie hinwollen.

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