: Der Rechtsradikale ist immer der Gärtner
Unter Führung eines 22-jährigen Gartenmarktverkäufers hat sich die NPD in Senden bei Ulm verankert. Sogar das Simon-Wiesenthal-Center aus Los Angeles warnt – und die Stadt vermietet aus Angst vor den Rechten keine Halle mehr
SENDEN taz ■ Die Drei- bis Sechsjährigen im städtischen Kindergarten Senden-Ay waren aufgeregt. Während einer Bastelstunde versammelten sich draußen auf der Straße plötzlich Männer mit kurz geschorenen Haaren. „Todesstrafe für Kinderschänder“, skandierten die Fremden lautstark. Das war am 19. April vergangenen Jahres. Knapp ein Jahr später hat die rechtsradikale Partei in Senden bei Ulm, einer Stadt mit 22.000 Einwohnern, Fuß gefasst. Inzwischen verzichtet die Stadt sogar darauf, ihre Hallen zu vermieten – um die rechtsradikale Partei wieder loszuwerden.
Beigetragen zu diesem Aufstieg hat vor allem der 22-jährige Gartenmarktverkäufer Stefan Winkler, heute Vorsitzender des NPD-Ortsverbandes Senden. Noch vor ein paar Jahren saß Winkler am Lagerfeuer und wetterte mit seinen Kameraden gegen den verweichlichten Staat. Später versuchte er zunächst erfolglos, politische Veranstaltungen in der Region zu organisieren. Vor allem in Neu-Ulm, wo bis vor kurzem die heutige bayerische CSU-Justizministerin Beate Merk im Rathaus saß, gelang es der NPD nicht, städtische Räume anzumieten. Mal ging überraschend die Heizung kaputt, mal hatte eine dringende Veranstaltung der Stadtverwaltung Vorrang.
Am 2. März vergangenen Jahres dann aber trauten sich die Jungnationalen in Senden mit einem „Lichtermarsch gegen den drohenden Irak-Krieg“ auf die Straße. Diesmal ging die Sache glatt: keine Gegendemonstranten, kein Eingreifen der Polizei. Mutig geworden sammelten Winkler und die Seinen nur drei Wochen später Müll an den Stadträndern auf. Motto: „Junge Nationaldemokraten räumen in Deutschland auf“. Die in Senden aufgewachsene Bundestagsabgeordnete der Grünen, Ekin Deligöz, erinnert sich, wie bei den in der Stadt lebenden Ausländern Angst aufkeimte. Fast ein Drittel der Bevölkerung setzt sich aus Migranten zusammen, in der Mehrzahl aus der Türkei.
Am 13. Juni 2003 schließlich gründete sich im Sendener Bürgersaal der NPD-Ortsverband Senden. Es war die erste Veranstaltung der jungen Extremen in einem öffentlichen Gebäude, die problemlos genehmigt worden war. Ungestört konnte der Schweizer Auschwitz-Leugner Bernhard Schaub ein fröhliches Grußwort sprechen. Doch erst Anfang dieses Jahres, nach einem Auftritt des rechtsradikalen „Barden“ Frank Rennecke Ende Januar in der Turn- und Festhalle, empörten sich demokratisch gesinnte Sendener Bürger. Sendens parteiloser Bürgermeister Baiker Kurt Baiker hatte erneut die Vermietung der Halle verantwortet. Es sei rechtlich nicht möglich gewesen, der NPD die Nutzung der Halle zu verwehren, so seine Argumentation. „So elastisch muss eine Demokratie sein“, findet er bis heute. Für „Taschenspieler-Tricks“ wie „kaputte Glühbirnen“ sei er nicht zu haben. Die Grüne Deligöz attackierte daraufhin Baiker. Dieser habe als Bürgermeister „nicht politisch gehandelt und sich hinter Paragrafen versteckt“; Linke organisierten eine Kundgebung.
Angesichts des drohenden Imageschadens wurde Baiker doch noch aktiv. Er versuchte, den Auftritt des NPD-Sprachrohrs Horst Mahler im städtischen Heinigsaal zu verhindern. Kurzfristig wurde der Saal mit einer Kunstausstellung belegt – ohne Erfolg. Das Verwaltungsgerichts Augsburg hob das Saalverbot für die Rechten auf. Die Niederlage wiederholte sich Anfang April – damals sprach der NPD-Chef Udo Voigt in der Ayer Festhalle. Voigts Musterschüler Winkler rief Senden im Überschwang seines Glücks sogar zum neuen „nationalen Zentrum“ der Partei aus. Vorher hatte er im Saal alle Gäste „aus der schönen Stadt Braunau“ begrüßt.
Inzwischen distanziert sich der Bürgermeister von den Umtrieben der Rechten, glaubt aber, das Mögliche getan zu haben. „Das Gericht hat doch der NPD den Weg in unsere Hallen frei gemacht“, beklagt er. Am liebsten wäre ihm, wenn Winkler aus der Stadt „wegziehen“ würde. Dass Mitte März sogar das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles Ministerpräsident Stoiber vor dem Treiben in Senden warnte, erwähnt Baiker nicht. Inzwischen gibt es in Senden sogar einen Vermietungsstopp für alle städtischen Hallen. Nach Fertigstellung eines neuen Bürgerhauses habe die Verwaltung derzeit „zu wenig Hausmeister für öffentliche Gebäude“, begründet Baiker. Mit der NPD habe das nichts zu tun. RÜDIGER BÄSSLER
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