: Der beste Verlierer
Leipzig ist für die Spiele eine halbe Nummer zu klein, hat der Computer des Internationalen Olympischen Komitees ermittelt
VON FRANK KETTERER
Kurz vor dem Ende, das ein bitteres werden sollte für die deutsche Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele im Jahre 2012, war es dann auch mit der strengen Geheimhaltung vorbei. Thomas Bach kam eiligen Schrittes aus jenem Saal, in dem die zehn Männer und eine Frau des IOC-Exekutivkomitees ganz offensichtlich zu einem Ergebnis gekommen waren. Zielstrebig steuerte der deutsche IOC-Vizepräsident jene Menschengruppe im weiten Flur des Palais de Beaulieu in Lausanne an, in der auch Bundesinnenminister Otto Schily sowie NOK-Präsident Klaus Steinbach standen. Die Männer steckten für einen Moment lang die Köpfe zusammen. Sie tuschelten, vor allem Bach gestikulierte einigermaßen aufgeregt; die Züge ihrer Gesichter nahmen dabei immer mehr einen steinernen Ausdruck an.
Keine halbe Stunde später tat Jacques Rogge vor der Weltöffentlichkeit kund, was dem Altherren-Debattierkreis aus Deutschland schon zuvor sichtlich aufs Gemüt geschlagen war. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) fasste sich dabei ungewöhnlich kurz. Er verlas nur fünf Städtenamen: Paris, Madrid, London, New York und Moskau. Genau in dieser Reihenfolge sieht das IOC die Bewerber in der Lage, die Spiele 2012 ausrichten zu können. Aus diesen fünf Metropolen wird es bei seiner Vollversammlung am 6. Juli nächsten Jahres in Singapur jene Stadt auswählen, die die Spiele 2012 ausrichten darf.
Nicht mehr im Rennen ist dann Leipzig, der deutsche Bewerber. Die Entscheidung des Exekutivkomitees, die Stadt an der Pleiße, von den IOC-Entscheidern auf Platz sechs eingestuft, als ersten Streichkandidaten dem Cut zum Opfer fallen zu lassen, kam für Insider indes nicht wirklich unverhofft. „Das Ergebnis spiegelt die Größe und die Kapazität Leipzigs wider“, kommentierte der Belgier Rogge, oberster Herr der Ringe, später: „Wir wissen, dass ein gewisses Potenzial vorhanden ist, aber im Moment ist es uns nicht genug.“ Und nur als kleiner Trost dürfte von der deutschen Delegation aufgenommen worden sein, dass die 500.000-Einwohner-Stadt immerhin Millionen-Metropolen wie Havanna, Istanbul und Rio de Janeiro hinter sich lassen konnte, die vom Computer als noch weniger olympiatauglich eingestuft worden waren.
„Das IOC hat heute eine technische Entscheidung getroffen“, versuchte IOC-Vize Thomas Bach die Entscheidung seiner IOC-Kollegen zu erklären; und diese Entscheidung habe zu Tage gefördert, dass „Olympische Spiele zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine halbe Nummer zu groß für Leipzig“ seien. Laut Bach vermasselten vor allem jene beiden Faktoren der Sachsenmetropole ein Weiterkommen, die zuvor schon als Schwachstellen eruiert worden waren: Die generelle Infrastruktur sowie die Frage der Unterkünfte. „In allen anderen Punkten hat Leipzig hervorragende Noten bekommen“, stellte Bach fest; dumm nur, dass alle anderen Punkte vom IOC mit einem niedrigeren Faktor bewertet wurden.
So war der deutsche Bewerber bereits ausgeschieden, noch bevor er seinen größten Trumpf ausspielen konnte: seine Winzigkeit – und damit sein Exotentum im Kampf der Giganten. Die Idee von kleinen, heimeligen Spielen in einer kleinen, heimeligen Stadt, bei der die Sportler und der Sport im Mittelpunkt stehen, konnte sich jedenfalls nicht durchsetzen. Und vor allem Otto Schily schien sich an dieser Tatsache zu reiben. „Es ist enttäuschend, dass bei der Auswahl wieder nur die ganz großen Städte zum Zuge kamen“, konstatierte der Bundesinnenminister.
Deutlich wurde dadurch freilich auch, dass das IOC offensichtlich doch noch nicht so weit ist, den von seinem Präsidenten propagierten Weg der Bescheidenheit auch wirklich schon gehen zu wollen. „Die Größe der Stadt spielt bei der Entscheidung keine Rolle“, hatte Rogge im Vorfeld der gestrigen Entscheidung mehrfach betont, nun widersprach er sich nicht nur selbst, sondern wurde auch von seinem eigenen Exekutivkomitee eines Besseren belehrt. „Ich glaube, dass das IOC einfach noch nicht reif dazu ist“, beurteilte das der ehemalige NOK-Präsident Walther Tröger, selbst IOC-Mitglied.
Wie auch immer, Leipzig ist raus. Den Rest machen die Großen unter sich aus. Am 6. Juli 2005 entscheidet sich endgültig, wer die Spiele 2012 ausrichten darf. Nach der gestrigen Beurteilung muss vor allem Paris mehr denn je als Favorit gesehen werden. Ein Tatsache, die auch für das deutsche NOK nicht ohne Bedeutung sein dürfte. Sollte tatsächlich eine europäische Metropole den Zuschlag für die Spiele in acht Jahren bekommen, dürfte es kaum Sinn machen, sich erneut für Olympia 2016 zu bewerben. Diese Entscheidung will das NOK nicht zufällig erst im November 2005 treffen – und somit erst dann, wenn feststeht, wer das Rennen für 2012 wirklich und endgültig gewonnen hat.
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