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Letzte Gefechte um die Wehrpflicht

SPD vertagt ihre Entscheidung über die Zukunft der Bundeswehr. Fraktion verweigert Minister Struck ein Ja zur Wehrpflicht. Verteidigungsexperte Arnold strebt Kompromiss an und fordert Modernisierung der Bundeswehr. Den Grünen ist das zu wenig

Der Umbau der Armee bedeutet früher oder später das Aus für die Wehrpflicht

aus Berlin JENS KÖNIGund LUKAS WALLRAFF

Die SPD hat ihren Streit über die Zukunft der Wehrpflicht nicht beendet, sondern nur vertagt. In dieser Frage gebe es keinen Grund zur Eile, sagte Fraktionschef Franz Müntefering gestern Abend nach einer kontroversen Diskussion in der SPD-Fraktion.

Gegen den Wunsch der Führung, die sich „keine Grundsatzdebatte“ über die Wehrpflicht wünschte, hatten mehrere Redner das Wort ergriffen und die verteidigungspolitischen Richtlinien von Minister Peter Struck (SPD) kritisiert. Strucks Richtlinien sehen die Beibehaltung der Wehrpflicht in Form eines neunmonatigen Zwangsdienstes vor. „Da gibt es unterschiedliche Meinungen in der Fraktion“, räumte Müntefering ein. Struck hatte ursprünglich gefordert, dass die SPD-Fraktion sich in einem formellen Beschluss hinter die Wehrpflicht stellt. Mit diesem Anliegen ist er gescheitert.

Zum einen hätte eine Festlegung einen Koalitionskrach heraufbeschworen. Die Grünen sind für die schnellstmögliche Abschaffung des Wehrdienstes und verweisen auf den rot-grünen Koalitionsvertrag vom Herbst, in dem eine Überprüfung der Wehrverfassung bis 2006 vereinbart wurde. Zum anderen wollte sich SPD-Fraktionschef Franz Müntefering weiteren Ärger mit seinen Abgeordneten vom Hals halten. Rund ein Fünftel der Fraktion ist gegen die Wehrpflicht. Müntefering hat schon genug damit zu tun, die Kritiker der Agenda 2010 auf Linie zu bringen. Und schließlich hat sich Müntefering mit der Auffassung durchgesetzt, das Thema Wehrpflicht sei von solcher Tragweite, dass nicht die Fraktion, sondern nur ein SPD-Parteitag darüber entscheiden könne. Ob dies schon auf dem nächsten Parteitag im November geschehen wird, lasse sich aber „noch nicht absehen“, sagte Müntefering. Auch Struck spielt auf Zeit. „Ich glaube, der Koalitionspartner akzeptiert, dass es in dieser Legislaturperiode keine Entscheidung zur Wehrpflicht gibt“, so Struck nach seinem alles in allem unerfreulichen Besuch bei der eigenen Fraktion.

Vor allem viele jüngere SPD-Abgeordnete stört es, dass der Verteidigungsminister die Wehrpflicht in Beton gießen will. Von den 37 Jungabgeordneten, die im „Youngster“-Kreis zusammengeschlossen sind, hält die große Mehrheit den Zwangsdienst für überholt. Sie legten gestern ein Papier vor, in dem sie Strucks Richtlinien zwar loben, aber eine Vorentscheidung über die Wehrpflicht ablehnen. „Wir haben uns im Koalitionsvertrag zu einer Überprüfung des Wehrdienstes verpflichtet“, sagte Sabine Bätzing, Sprecherin der „Youngsters“, gegenüber der taz. „Daran müssen wir festhalten.“ Vom Parteitag erwartet Bätzing eine Entscheidung, ob die Wehrpflicht beibehalten oder ausgesetzt wird. Eine Mehrheit für die Abschaffung sei „utopisch“.

Als mögliche Kompromisslinie innerhalb der SPD deutet sich die Forderung nach einem Umbau der Bundeswehr an, mit dem dann auf kurz oder lang auch die Wehrpflicht fallen würde. Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion, vertritt diese Linie. „Wir wollen eine Struktur, die die Option eröffnet, die Wehrpflicht abzuschaffen“, sagte Arnold gestern der taz. Er plädiert für die Verkleinerung der Bundeswehr von derzeit 285.000 Soldaten auf 240.000 bis 250.000 Soldaten. Gleichzeitig sollte die Armee so umgebaut werden, dass keine Wehrpflichtigen mehr in Kampfverbänden dienen würden. Eine solche Modernisierung würde vier oder fünf Jahre dauern. Danach wäre es theoretisch möglich, aus der Wehrpflicht auszusteigen. Diese Umstrukturierung habe den Vorteil, so Arnold, dass man nach einer Abschaffung des Zwangsdienstes ihn später bei Bedarf auch wieder einführen könnte.

Beinharte Verfechter der Wehrpflicht wie Reinhold Robbe vom rechten „Seeheimer Kreis“ können einer Aussetzung des Zwangsdienstes nichts abgewinnen, allein schon wegen der drohenden Schließung vieler Bundeswehrstandorte. „Auf dem Parteitag muss es ein klares Ja oder ein klares Nein über die Zukunft der Wehrpflicht geben“, sagt er. Arnold wiederum ist davon überzeugt, dass eine Mehrheit in der SPD seine Forderung nach einer Modernisierung der Bundeswehr unterstützt. „Das könnte auch einen Kompromiss mit den Grünen ermöglichen.“

Die Grünen wollen sich damit jedoch nicht zufrieden geben. „Es muss endlich sehr bald einen sehr grundsätzlichen Beschluss über die Abschaffung der Wehrpflicht geben“, sagte Alexander Bonde, Grünen-Mitglied im Verteidigungsausschuss, zur taz. Arnolds Vorschlag verkleinere das Problem, löse es aber nicht. Auffällig ist jedoch, dass sich der kleine Koalitionspartner in den letzten Wochen zurückgehalten hat. An einem offenen Wehrpflichtstreit mit der SPD hat bei den Grünen niemand Interesse. Ihnen reicht fürs Erste die Genugtuung, dass Struck in den eigenen Reihen Schwierigkeiten hat. Egal was die SPD entscheide, die Wehrpflicht sei „so oder so ein Auslaufmodell“, sagt Parteichefin Angelika Beer. Indem die SPD-Fraktion eine Entscheidung verschoben habe, sei „ein Stück Konfrontation herausgenommen“ worden.

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