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kulturhauptstädtischesDer Norden schwänzt

Lägen etwa die Nerven blank? Entpuppen sich brave Chorsängerinnen als zickige Diven? Fakt ist: Die 16 deutschen Bewerberstädte für den Titel „Kulturhauptstadt 2010“ hatten sich im Februar auf eine koordiniertere Öffentlichkeitsarbeit geeinigt. Und sich auf die gemeinsame Suche gemacht nach medialen Plattformen fürs gemeinsame Anliegen. Knapp einen Monat vor Abgabe der Konzepte ans Auswärtige Amt scheint diese Zweckharmonie allerdings gestört: Die Deutsche Vereinigung der Europäischen Kulturstiftung hatte alle 16 Kandidatinnen für vergangenen Freitag nach Berlin geladen. Dort hätten sie bei einem Hearing ihre Pläne vorstellen und ihnen per Ausstellung Öffentlichkeit verschaffen sollen. Aber denkste: Beides scheiterte. Absagen kamen aus Nordrhein-Westfalen, wo erst am Vortag eine Jury Essen als offizielle Landes-Kandidatin benannt hatte, aber auch aus Karlsruhe, aus Görlitz und aus Bremen. Braunschweig wäre ebenfalls nicht gekommen, heißt es aus dem dortigen Pressereferat. Der Grund: „Es zeichnete sich ab, dass eine Mehrheit nicht teilnimmt.“ Bedenken gegen die vorgesehene Präsentationsform hegte man zudem in Lübeck: Das Hearing war von 11 bis 17 Uhr angesetzt. „Sechs Stunden, eine Stadt nach der anderen – da hätte doch keiner mehr zugehört“, so Holger Walter, der Lübecks Kandidatur koordiniert. Man habe den Kulturstiftlern daher die Absage empfohlen. „Eine gemeinsame Präsentation ist eine gute Idee“, erklärt schließlich Jens Joost-Krüger vom Bremer Kulturhauptstadt-Team, „aber der Zeitpunkt war falsch.“ Auch weil die NRW-Verlierer Köln und Münster sich wohl kaum hätten präsentieren mögen. Und überhaupt: Vor der Abgabe Ende Juni werde Bremen an keinem öffentlichen Konzept-Vergleich teilnehmen.

Als „ein bisschen unfair“ empfindet Kulturstiftungs-Präsident Olaf Schwencke die Absagen dennoch. Vergrätzt dürfte er auch über die Beteiligung an seinem zweiten Projekt sein: Am Wochenende fand in Potsdam das erste von fünf Kolloquien statt, die sich mit der Zukunft des Kulturhauptstadt-Titels beschäftigen. Am Ende der Reihe sollen Ideen für neue Bewerbungskriterien ans Europäische Parlament geschickt werden. Angereist waren die drei bayerischen Bewerber sowie Kassel und Osnabrück. 6 aus 16. Kein guter Schnitt.

Lübeck stehe bezüglich der Veranstaltungsserie „nach wie vor im Wort“, so Walter. Nur habe der HL-Repräsentant Björn Engholm an dem kurzfristig anberaumten Termin „schlicht keine Zeit gehabt“. Eine prinzipielle Absage sei das nicht. Schließlich beteilige Lübeck sich „an den Kosten der Reihe“.

Trotzdem strafte Schwencke die Schwänzer erst mal ab: Er sehe „Potsdam, Kassel und Regensburg unter den ersten fünf“, sagte er beim Symposion. Ausgerechnet Regensburg! Das ist schon ein kleiner Affront. Denn an der schönen blauen Donau verfasste – während andernorts gestandene Kulturmanager und -verwalter das Sagen haben – eine Praktikantin die Bewerbungsschrift, und spruchreife Projekte hat man bislang auch nur zwei: eine Gesprächsrunde sowie eine Brücken-Illumination. Oder wäre die Nennung bloß ein Bonbon für die Schwencke-Getreuen? Die Liste umfasst nämlich zufällig genau jene Städte, die Kolloquien ausrichten. Abtun sollte man die Meinung des Kulturstiftungs-Präsidenten deswegen aber nicht: Schwencke gehört seit Jahren der Kulturhauptstadt-Jury der EU an. Ein Posten, den er wohl auch im kommenden Jahr hat. Dann fällt in Brüssel die Entscheidung für 2010. Tim Ackermann/bes

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