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Patent-Mining an den Universitäten

Eine Erfolgsbilanz: Seitdem die Universitäten die Erfindungen ihrer Professoren selbst verwerten dürfen, steigt die Anzahl der Hochschulpatente rapide an. Mit den Patenten wollen die Universitäten nicht nur zusätzliches Geld einnehmen. Ein Ziel ist auch, neue Firmen zu gründen

VON BARBARA KERNECK

„Persönlich kenne ich niemanden hier, der nicht begeistert ist“, strahlt Patrik Varadinek, Beauftragter für Forschungsvermittlung der FU Berlin. Dutzende von Hochschullehrern hat der gebürtige Schwede im vergangenen Jahr ermutigt, alles, was sie so erfinden, zur Patentierung vorzuschlagen. „Die meisten meinen, wenn sie eine Erfindung als Patent anmeldeten, würden nur Kosten und bürokratische Reibereien auf sie zukommen“, erzählt er: „Aber wenn wir ihnen sagen, dass wir das ihnen jetzt alles abnehmen, freunden sie sich schnell mit der Idee an.“

Mehr Hochschulerfindungen als bisher dem Markt zuzuführen, dies war das Ziel einer großen Verwertungsoffensive, die das Bundesforschungsministerium 2002 gleichzeitig mit der Änderung des Arbeitnehmererfindungsgesetzes startete. Mit Erfolg: Vom 2. Halbjahr 2002 bis zum 2. Halbjahr 2003 verzeichnen die in ihrem Rahmen geförderten Hochschulen einen Anstieg von 17 Prozent gemeldeter Patente. In seinem Bereich überblickt der Physiker und einstige Mitarbeiter eines renommierten Patentanwaltsbüros Varadinek die vergangenen beiden Jahre: 2002 konnte die FU 15 Patente anmelden und 2003 schon 25. Er sagt es, als habe er eine versteckte Pilzwiese entdeckt.

Patrik Varadinek sammelt Patente ein. Christian Kilger, Mikrobiologe, Europäischer Patentanwalt und Geschäftsführer der Berliner Verwertungsagentur ipal GmbH (ipal = Innovationen Patente Lizenzen), verkauft sie dann. Die ipal wurde im Oktober 2001 von fünf Berliner Hochschulen gegründet, der Humboldt-Universität, der FU, der TU, der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und der Technischen Fachhochschule Berlin. An ihnen allen, wie auch an 190 weiteren deutschen Hochschulen, gibt es inzwischen Beauftragte für „Patent-Mining“. Sie ziehen Patente für bundesweit 22 auf Hochschulen spezialisierte Patentverwertungsagenturen (PVAs) an Land. Diese haben die Form von privatwirtschaftlichen GmbHs. Die von ihnen betreuten Hochschulen halten Anteile an ihnen und sitzen in den Aufsichtsräten. In der Anlaufphase arbeiten sie mit staatlichen Geldern, aber mittelfristig sollen sie Gewinne erzielen.

Der Aufbau von Verwertungsstrukturen an und neben den Hochschulen wird in der nun angelaufenen dritten Phase der Verwertungsoffensive vom Bundesforschungsministerium finanziell gefördert. Bis zum Jahr 2006. Danach will es finanzielles Eingreifen den Ländern überlassen. Die hatten auch bisher schon viel Gestaltungsfreiheit. Die Struktur der ipal zum Beispiel zeichnet sich vor den 22 anderen PVAs dadurch aus, dass neben den beteiligten Hochschulen als sechste Gesellschafterin auch eine Bank mit von der Partie ist. Die Investitionsbank Berlin (IBB) hat die Aufgabe, die Wirtschaft an ihrem Standort zu fördern.

Kilger schildert den Vorteil: „Bevor eine Technologie am Markt ist, können durchaus acht Jahre vergehen. Die Verwertungsagentur und die Bank erbringen Vorleistungen, sie finanzieren die Arbeit der Agentur und im Wesentlichen die Schutzrechte für die Erfinder. Alle anderen Bundesländer hängen viel stärker von der staatlichen Förderung ab. Da ist die Frage: Was passiert mit den in die Wege geleiteten Verfahren, wenn die Förderung aufhört?“

Die erste Anmeldung eines Patents, der so genannte Prioritätstag, kostet in der Regel 3.000 bis 6.000 Euro. Im Laufe von 12 Monaten danach kann man auch ausländische Patentanmeldungen einreichen. Die Ausgaben dafür auszutarieren – in Bezug auf den Wert der Technologie, den es zu schützen gilt – ist die größte Kunst. Eine gleichzeitige Anmeldung eines Medikamentes in Japan, den USA und einigen anderen Ländern zusammen kann bis zu 60.000 Euro kosten.

Für mindestens 120 Projekte hat die ipal bisher Lizenzpartner gesucht oder schon gefunden. Stärkste Lieferantin von Erfindungen ist dabei die Humboldt-Universität mit der Charité.

Und noch eine Besonderheit gibt es bei der Patentverwertung in der Hauptstadt: den so genannten Berliner Vertrag zwischen großen Industriefirmen, den Hochschulen und der ipal.

Mit dem Fortfall des Hochschullehrerprivilegs hat sich die Interaktion zwischen Industrie und Hochschulen verändert. Die Firmen müssen heute zu den Hochschulverwaltungen gehen, wenn sie eine Kooperation wünschen. Früher konnten sie einfach einem Professor einen privaten Beratervertrag geben, darüber Verwertungsrechte einheimsen und Uni-Laboratorien wie ausgelagerte Werkbänke nutzen. Der „Berliner Vertrag“ ist der Versuch zu einem Kompromiss in diesem Interessenkonflikt. DaimlerChrysler, Schering, die Telekom nahmen unter anderem daran teil. Das Resultat ist eine freiwillige Selbstverpflichtung der Hochschulen, Firmen, welche Hochschul-Forschungsprojekte fördern, die Patente daraus bevorzugt zugute kommen zu lassen.

Meldung einer Erfindung an den Arbeitgeber, Bewertung, Anmeldung zum Patent, Verwertung – dies sind die Schritte, in denen sich der Technologietransfer aus den Hochschulen auf den Markt vollzieht. Der Bewertung kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Nicht jede Erfindung lohnt das Patentieren. Der Innovationszyklus in der Halbleitertechnik zum Beispiel beträgt heute acht Monate. Da kann sich niemand mit Patenten aufhalten.

In bisher drei, vier Fällen strebt die ipal „Ausgründungen“ an, das heißt die Gründung kleiner Firmen für Hochschulangehörige auf der Basis ihrer Erfindungen. „Die meisten Leute in Deutschland unterschätzen, wie gut strategisch vorbereitet solch ein Unternehmen starten muss“, sagt Kilger: „Ein Großunternehmen wie Nestlé oder Schering wird nicht mit einem kleineren Partner zusammengehen, der nicht absolut sauber in Bezug auf Drittrechte ist.“ Eine höhere Verwertungskultur käme uns allen in Form von Ausgründungen und neuen Arbeitsplätzen zugute. Varadinek und Kilger betonen, dass vor allem die US-Hochschulen viel selbstbewusster an die Verwertung ihrer Erfindungen herangehen.

Im Übrigen ist bei der Verwertung Verhandlungsgeschick gefragt. Erfindungen zwischen Erfindern aus mehreren Ländern sind heute an der Tagesordnung. Das erste Patent, welches der FU erteilt wurde, betrifft ein gemeinschaftliches Forschungsresultat des FU-Physikprofessors Ludger Wöste und seines Kollegen Jean-Pierre Wolf von der Universität Lyon: das Teramobile, ein fahrbares Laboratorium. Es sendet über große Entfernungen einen Laserstrahl aus. Zu seinen zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten gehört es auch, Blitze zu „zähmen“. Sie werden quasi von dem Laserstrahl angezogen und können so gezielt abgelenkt werden. „Die Nutzungsrechte für dieses Verfahren waren kein Problem, so was lässt sich alles verhandeln“, sagt Varadinek. Wenn aber das Teramobile Blitze ableitet und auf sich selbst lenkt, zerstören sie dann nicht das fahrbare Laboratorium? Daran kann sich der Erfinder-Manager nicht so genau erinnern. Er schaut drein, als wolle er mit den Blitzen verhandeln: „Falls das ein Problem sein sollte, kriegen wir auch das in den Griff!“

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