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Teure Beine auf Klubsuche

von JUDITH WEBER

Ausgerechnet seinen früheren Kollegen musste Tomasz Bobel in die Arme laufen. Die Fußballer des MSV Duisburg steigen gerade in den Bus, die Zweitligisten sind auf dem Weg ins Trainingslager. Der Bus fährt ab, Tomasz Bobel steht auf der Straße. „Ein Scheißgefühl ist das“, schimpft der Dünne mit dem blauen Trainingsanzug, dessen Hosenbeine über den Waden enden. Bis letzte Woche stand Tomasz Bobel noch im Duisburger Tor. Fünf Jahre lang war er Fußballprofi. Jetzt ist er ein 28-jähriger Arbeitsloser, dem schwant, dass es mit dem Traumberuf aus ist.

Auf dem Arbeitsmarkt für Fußballer sieht es schwarz aus. Jeder Verein in der ersten oder zweiten Bundesliga und der Regionalliga hat zur beginnenden Saison im Schnitt zwei Stellen gestrichen. Vizemeister Borrussia Dortmund hat nicht einen einzigen neuen Spieler unter Vertrag genommen. „200 arbeitslose Profis gibt es bestimmt“, schätzt Jörg Albracht, der Geschäftsführer der Spielergewerkschaft VDV (Vereinigung der Vertragsfußballer).

In Duisburg schauen außer Tomasz Bobel zwei weitere Spieler dem Mannschaftsbus hinterher. Drei sind schon eine kleine Mannschaft, und so machen die Arbeitslosen, was Fußballer eben tun: Sie kicken. Auf den Plätzen der Sportschule Duisburg-Wedau treffen sie sich seit Mitte Juni mit anderen Profis, die keinen Vertrag haben. Die Spielergewerkschaft hat das Training organisiert. Exnationalspieler Wolfgang Rolff und sein Assistent Marc Fascher leiten Aufwärmrunden, Geschicklichkeitsübungen und Torschusstraining. Mittags gibt es Spaghetti in der Kantine, am Nebentisch sitzt die Jugendauswahl des DFB oder auch mal die schwedische Nationalmannschaft. Und wer von weit her kommt, kann in der Sportschule übernachten. Es ist fast wie im normalen Trainingslager.

20 bis 30 Spieler haben sich für die nächsten Wochen angemeldet. Offiziell sollen sie sich fit halten, damit sie schnell einen neuen Verein finden. Tatsächlich ersetzt das Training Mannschaft, Therapeut und Stammtisch. Auf dem Rasen wird gerempelt, geschimpft und gerauft. Ein ehemaliger Zweitligist angelt sich beim „Schweinchenspiel“ den Ball nicht schnell genug: Lachen, Lästern, Schulterklopfen. Stimmung wie auf dem Bolzplatz. Tomasz Bobel patzt und wird mit Liegestützen bestraft, die er nicht machen kann, weil sich ein anderer auf seinen Rücken plumpsen lässt. VDV-Geschäftsführer Jörg Albracht – er stand bis 1996 bei Schalke im Tor – zieht seine Sporthose an und mischt mit: „Jungs, ihr könnt schlecht sein, aber nicht schlechter als ich.“

Schlecht sein – die große Angst. Arbeitslose Fußballer sind normale Arbeitslose, mit allen Gefühlen, die dazugehören. Ein Spieler, der 400-mal in der Zweiten Bundesliga auf dem Platz stand, will seinen Namen nicht nennen, weil er sich schämt. Ein anderer würde mittlerweile auch in der Oberliga mitspielen, obwohl er früher schon die Regionalliga unter seiner Würde fand. Ein Dritter ist wütend: „Ich hätte zumindest noch eine Chance verdient.“

Manche haben sich zum Arbeitslosentraining angemeldet, sind aber nicht gekommen: „Die Verträge sind erst vor ein paar Tagen ausgelaufen“, sagt Jörg Albracht. „Das muss erst mal verarbeitet werden: Man hängt sich die Saison über rein, spielt gut und bekommt dann doch keine Verlängerung.“ „Die würden auch umsonst spielen, wenn man sie ließe“, sagt der VDV-Sprecher Thomas Hüser. „Fußball ist deren Sport.“

Die Arbeitslosen trainieren im Regen und bei Kälte, ganz egal, Hauptsache spielen. Torwart Tomasz Bobel steht zwischen den Pfosten und schaut sich um: „Super, mal wieder hier zu stehen.“ Er trabt jeden Tag durch den Wald, „aber das allein ist auch stupide. Hier schießt mir wenigstens einer auf die Kiste.“

Der Spielergewerkschaft wäre es lieb, wenn Bobel nicht nur joggen würde, sondern auch die Weiterbildungsseminare des VDV besuchte. „Wir versuchen, denen beizubringen, dass sie etwas anderes machen müssen“, sagt Geschäftsführer Thomas Hüser. „Als Fußballer bin ich Dienstleister. Und wenn die Nachfrage nach der Dienstleistung linker Verteidiger sinkt, muss ich eben umschulen.“ Die Spielergewerkschaft arbeitet mit einer Beratungsfirma zusammen, die den Profis auf die Sprünge helfen soll. Doch die Fußballer sind stur. Wer einmal seinen Traum verwirklicht hat, lässt davon nicht so schnell ab. „Einen anderen Beruf? Sicher“, grinst Tomasz Bobel, „ich wollte schon immer Basketballspieler werden.“ Dann senken sich die Mundwinkel, er wird energisch: „Nein. Ich bin noch jung. Ich will Fußballer sein.“ Das Thema Arbeitslosigkeit war für den Polen bisher „ganz weit weg“, etwas, was sich in den Medien und in anderen Berufen abspielt. Jetzt will er die neue Lage mit Kraft angehen. Beim Arbeitsamt war Bobel aber noch nicht. Wie viele joblose Spieler hofft er, selbst schnell einen neuen Arbeitgeber zu finden.

VDV-Geschäftsführer Jörg Albracht hat sich selbst lange geziert, bevor er den Platz verließ und Betriebswirtschaft studierte. Das Knie war kaputt, die Fußballkarriere am Ende, „aber ich habe das lange nicht verarbeitet“. Freunde mussten ihn regelrecht überreden, sich von der Spielergewerkschaft beim Studieren unterstützen zu lassen.

Wenn Albracht könnte, stünde er immer noch auf dem Platz. Beim Arbeitslosentraining „mache ich nur als Sparringspartner mit, quasi als Hütchen oder Stange“, sagt der 40-Jährige – und ist dann derjenige, der sich mit der größten Begeisterung auf den nassen Rasen wirft, beim Fallen Purzelbäume schlägt und die anderen Spieler knufft, um an den Ball zu kommen. Noch eine Stunde später, als Albracht längst wieder Geschäftsführer ist und am Spielfeldrand Interviews gibt, klebt Gras an seiner Stirn. Stolz reibt er sich den Oberschenkel: „Ich habe mir gerade die erste Zerrung meines Lebens geholt.“ Albracht hat das Arbeitslosentraining organisiert, „um den Jungs eine Freude zu machen“, sagt er. Er selbst hat mindestens genauso viel Spaß.

So ein Leben nach dem Fußball könnten sich sogar einige Profis vorstellen: „Die meisten wollen in den Sportmanagement- oder Beratungsbereich“, sagt Albracht. „Die Branche expandiert ja auch, allein die Fitnesscenter und Wellnesshotels.“

Die Männer, die da im Regen stur ihre Bauchmuskelübungen herunterturnen, sollen Wassergymnastikkurse planen? Warum nicht – die Fußballer müssen dahin, wo es Geld gibt. Nur wenige können sich auf Millionen ausruhen, die sie in den Jahren zuvor verdient haben. Die meisten Arbeitslosen kommen aus der Zweiten Bundesliga oder der Regionalliga, wo man mit 3.000 Euro pro Monat schon gut verdient. Und 28-Jährigen wie Tomasz Bobel bleiben nur wenige Jahre, um ihre Karriere wieder anzukurbeln.

Vielleicht ist der „FC Arbeitslos“, wie die Bild-Zeitung die vereinslosen Fußballer nannte, ein Sprungbrett. In Frankreich und Großbritannien bewähren sich solche Trainingscamps seit Jahren. In Deutschland waren sie bisher nicht nötig, es lief ja so gut. Vereine, die nicht mal im Uefa-Pokal mitspielten, leisteten sich 32 Lizenzspieler – „wofür sie die brauchten, habe ich noch nie verstanden“, sagt Albracht. Jetzt holt die wirtschaftliche Talfahrt den Fußball ein.

Die Öffentlichkeit, gewöhnt an das Klischee vom faulen Fußballmillionär, staunt. Zu jedem Training kommen Journalisten. Fernsehleute hocken am Spielfeldrand und filmen die Füße der Spieler, die ihre Gesichter nicht zeigen wollen. Sportreporter, die gewohnt sind, knapp den Spielverlauf abzufragen, bemühen sich um Einfühlsamkeit: „Gutes Gefühl, wieder auf dem Platz?“ Mehr als 80 Anfragen von Reportern sind bei der Spielergewerkschaft bisher eingegangen. Für Bälle und Kleidung hat sich ein prominenter Sponsor gefunden.

Ab und zu fehlt ein Spieler beim Training. Dann freuen sich die anderen. Wer fehlt, ist zum Probetraining eingeladen oder führt Vertragsverhandlungen bei einem Verein. Wie Rudi Istenic, der bisher bei Braunschweig spielte. Wo er ist, wird nicht verraten, nur dass er wahrscheinlich „bei einem hessischen Oberligisten“ anfangen wird.

Bis Ende August haben Lizenzspieler noch Zeit, den Verein zu wechseln. Dann endet die Transferperiode. Die Spielergewerkschaft würde die Regeln gern aufweichen und die Tür für arbeitslose Profis länger offen lassen, aber Regeln sind Regeln, so ist das im Fußball. In Duisburg sind die Plätze für das Training der vereinslosen Spieler schon für den Rest des Jahres gebucht. Danach wird Trainer Wolfgang Rolff Nationaltrainer in einem Land, das noch nicht verraten werden darf. Ein Nachfolger ist leicht zu finden. Auch arbeitslose Trainer, die fit bleiben wollen, gibt es genug.

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