: GRUFTIGES
In Berlin
Schwarz ist die Nacht. Und dahin zieht es die Gothic-Szene. Blass geschminkt, schwarz uniformiert trifft man sich auf Friedhöfen, in Tunneln und Kellern, um zu feiern und der Finsternis zu huldigen. Damit sich Gothic-Fans auf dem Weg durch die Berliner Dark Scene nicht verlaufen oder überhaupt zueinander finden, hat der Autor Kai A. Maack den Reiseführer „Gothic Cityguide Berlin“ geschrieben. Mitunter sehr intellektuell werden da „kafkaeske Parallelwelten“ vorgestellt, etwa die U-Bahn-Tunnel unter dem Bahnhof Gesundbrunnen. Wie man da reinkommt und wer die Führungen veranstaltet, erfahren Leser ebenso wie Wissenswertes über die Geschichte der Tunnel.
Ein ganzes Kapitel widmet der Autor den Verblichenen. „Wo die Toten ruhen“ handelt von Grüften, mumifizierten Königen und natürlich Friedhöfen. Weil sich die Zentren der vielen eingemeindeten Städtchen von Groß-Berlin ständig verschoben, legten sich Friedhöfe wie Jahresringe um die Häuser. Einst hinter der Stadtmauer angelegt, befanden sie sich Jahrzehnte später wieder mittendrin.
Highlight für jeden Grufti dürften die Gewölbekeller unter der Parochialkirche sein. Hier liegen die letzten Mumien Berlins, 140 an der Zahl. Einige noch uniformiert oder mit Haarkämmen geschmückt. Auch der Selbstmörderfriedhof ist mit von der Partie. Da es ein Förster im 19. Jahrhundert satt hatte, ständig die namenlosen Wasserleichen aus der Havel zu entsorgen, wurde kurzerhand in Ufernähe dieser Friedhof angelegt. Die Inschrift „Ein Opfer der Kälte“ ziert viele der Grabsteine.
Gebrauchswert hat das Gothic-Livestyle-Kapitel mit der bunten Mischung aus Kneipenadressen und S/M-Locations. Oder die Rubrik „Markabres, Morbides und Exotisches“. Da findet sich auch das Medizinhistorische Museum der Charité, mit rund 10.000 Exponaten, darunter missgebildete Organe und Föten. Dass auch die Wölfe des Tierparks Erwähnung finden, mag Insider entzücken oder als an den Haaren herbeigezogen bewertet werden. CHRISTINE BERGER
Kai A. Maack: „Gothic Cityguide Berlin“. Columbus Verlag, Oberhausen 2004, 10 €
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