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Die Qual der Wahl

Russen in Turkmenien mit zwei Pässen müssen einen abgeben. Duma: Vorbereitung zur Massendeportation

MOSKAU taz ■ In der zentralasiatischen Republik Turkmenien sind russische Bürger nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen und westlichen Beobachtern massiven Schikanen ausgesetzt. Demnach hat Republikschef Sapamurat Nijasow den Geheimdienst auf Bürger mit russischen Pässen angesetzt und deren Wohnungen beschlagnahmen lassen. Ende Juni lief ein turkmenisches Ultimatum aus, das Bürger mit doppelter Staatsbürgerschaft zwingt, sich für eine zu entscheiden.

Nach Moskauer Schätzungen leben in der ehemaligen Sowjetrepublik 100.000 Bürger mit russischen Pässen, Aschgabat spricht von 50.000. Weit mehr ethnische Russen – 200.000 – haben nach inoffiziellen Erhebungen seit der Unabhängigkeit 1991 die turkmenische Staatsbürgerschaft angenommen.

Nijasow stellt die Doppelbürger vor keine richtige Wahl. Wer die russische Staatsbürgerschaft annimmt, verliert nicht nur alle Bürgerrechte, er geht auch des Rechtes verlustig, sein Eigentum vor Ausreise zu verkaufen. Wer sich mit einem Visum im Land aufhält, muss jederzeit auf Ausweisung gefasst sein. Ein neu gebackener Turkmene hat sich mit der Wahl wie in Sowjetzeiten in die Abhängigkeit eines Willkürstaates begeben. Will er – auch nur vorübergehend – das Land verlassen, benötigt er ein Ausreisevisum, das nur gegen erhebliche Gegenleistung zu haben ist.

Im April hatten Nijasow und Russlands Präsident Putin ein Abkommen unterzeichnet, das die 1993 getroffene Vereinbarung über die Doppelstaatsbürgerschaft annulliert. Darauf beruft sich der Wüstenpotentat. Der Kremlchef verweist darauf, die Annullierung gelte erst nach Ratifikation durch die Duma. Auch seien jene von den Änderungen ausgenommen, die vorher Bürger beider Staaten waren.

Nijasow sieht es anders. Dennoch forderte Putin russische Kritiker zum behutsamen Umgang mit dem Regime in Aschgabat auf. Kein Wunder. Am Tag des Annullierungsabkommens unterzeichneten beide einen Gaslieferungsvertrag, in dem Turkmien über die Hälfte der Gasförderung 25 Jahre lang zu günstigen Konditionen an Moskau verkauft.

Das russische Außenministerium bestätigte die Übergriffe auf russische Staatsbürger nicht. Deutlicher wurde die Duma, die Turkmenien bezichtigte, „Vorbereitungen zur Massendeportation der russischsprachigen Bevölkerung zu treffen“. Außerdem warfen die Abgeordneten Nijasow vor, den Rauschgifthandel aus Afghanistan zu decken und den internationalen Terrorismus zu unterstützen. Die Duma setzte Turkmenien auf eine Liste der für russische Bürger 20 unsichersten Länder.

Der Kremlchef muss um sein patriotisches Image bangen. Russen in Aschgabat hielten dem Kreml bereits vor, Menschen gegen Gas zu handeln. Gegenüber der Nesawissimaja Gaseta forderte der Vizechef des GUS-Ausschusses, notfalls die Menschenrechte der Russen in Turkmenien mit Gewalt zu verteidigen. Das hört der Kreml ungern. Moskau und Aschgabat gehen von einer gemeinsamen Prämisse aus. Achtung und Prestige des Staates verhalten sich umgekehrt proportional zur Wahrung von Bürgerrechten. Hie wie dort zählen Menschen nichts.

KLAUS-HELGE DONATH

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