: Steinbrück in der Nachspielzeit
Europa-Wahldesaster schockiert die SPD: Fraktionschef Moron fordert personelle Konsequenzen, Regierungschef Steinbrück warnt vor Selbstzerfleischung. CDU, FDP und Grüne feiern sich als Sieger
AUS DÜSSELDORF ANDREAS WYPUTTA
Der Schock, die Angst, die Verzweiflung – sie saßen bei der SPD auch am Tag Eins nach der Katastrophe der Europawahl tief. Angesichts des mit 25,7 Prozent schlechtesten Wahlergebnisses, das die SPD jemals in Nordrhein-Westfalen eingefahren hat, reichte der Mut der Parteispitze nicht einmal mehr für eine öffentliche Stellungnahme: Nur zu einer dürren schriftlichen Erklärung sahen sich Landesparteichef Harald Schartau und sein Generalsekretär Michael Groschek in der Lage. Das „dramatische Ergebnis“ sei „Ausdruck der Enttäuschung unserer Stammwähler“, heißt es da. Und: „Vordergründige Personaldiskussionen helfen jetzt nicht weiter.“
Eine berechtigte Warnung: Edgar Moron, Chef der SPD-Landtagsfraktion, hatte bereits gestern morgen die Flucht nach vorn angetreten und personelle Konsequenzen aus dem Wahldesaster gefordert – und damit indirekt auf die SPD-Minister für Wirtschaft und Arbeit auf Bundes- und Landesebene, Wolfgang Clement und Harald Schartau selbst gezielt: „Eine Partei, die die Regierung stellt und das Sozialministerium vernachlässigt, hat keinen Ansprechpartner mehr für soziale Kompetenz“, so Moron. Damit drohe der SPD der Verlust ihrer Identität. SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück warnte dagegen vor einer „kleinkarierten Personaldebatte“ – und flüchtete in den Anschein von Normalität: Statt in der Landeshauptstadt Präsenz zu zeigen, besuchte der Regierungschef eine Realschule in Bergkamen. Dort machte der Regierungschef in Zweckoptimismus. „Es gilt der alte Satz: Das Spiel hat 90 Minuten.“
Auch das am Abend tagende Präsidium der Landespartei dürfte Moron damit isoliert haben: Wie Steinbrück, Schartau und Groschek forderte auch der stellvertretende Landesparteivorsitzende Karsten Rudolph gegenüber der taz eine Konzentration auf Inhalte: „Ein Pseudo-Revival der Werte der Arbeiterbewegung bringt uns nicht weiter.“ Nötig seien vielmehr Themen, „die die Menschen in ihrem ganz konkreten Alltag“ bewegen, mahnen auch Parteichef und Generalsekretär: Rentner dürften nicht mit weiteren Kürzungsplänen überfahren werden, Jugendliche bräuchten einen Ausbildungsplatz, die Arbeitslosigkeit müsse endlich sinken, so die beinahe verzweifelt klingende Botschaft des immer noch größten Landesverbands nicht nur in Richtung Berlin.
Von Verzweiflung keine Spur dagegen bei der Opposition: „Die Party geht weiter“, so Vertraute von CDU-Chef Jürgen Rüttgers gestern gut gelaunt im Landtag. Rüttgers selbst sprach bereits vom „Anfang vom Ende von Gerhard Schröder und seiner rot-grünen Regierung in Berlin“ – mit der Europawahl sei „die Zeit des Medienkanzlers vorbei“, sagte Rüttgers angesichts eines Traumergebnisses von landesweit 44,9 Prozent. Auch der FDP-Landesvorsitzende Andreas Pinkwart gab sich siegesgewiss: Die 7,5 Prozent in Nordrhein-Westfalen zeigten, „dass der Wechsel, den wir erkämpfen werden, nur noch eine Frage der Zeit ist“.
Das befürchten mittlerweile auch die Grünen: Zwar feierte die Landesvorsitzende Britta Haßelmann die 12,6 Prozent in NRW als „Traumergebnis“, doch bemühte sich Parteichef Frithjof Schmidt auffällig um Schonung des Koalitionspartners. Intern aber sorgen sich die Grünen um die nordrhein-westfälische SPD: „Sollten die Sozialdemokraten bei der Kommunalwahl ähnlich schlecht abschneiden, müssen wir verstärkt auf Distanz gehen.“
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