: „Das lähmt die Selbsthilfe“
Mit der einen Hand die Riester-Rente basteln und mit der anderen wieder einstreichen: Das ist der Geist der neuen Regeln zum Arbeitslosenhilfe-Bezug. Das Bremer Sozialgericht schiebt dem nun mit richtungsweisenden Entscheidungen einen Riegel vor
taz ■ Wer privat für seine Rente vorgesorgt hat, muss sein Erspartes nicht, wie vom Gesetzgeber vorgesehen, für die Arbeitslosenhilfe aufgeben. Das Bremer Sozialgericht hat jetzt in drei Fällen entschieden, dass die vom Arbeitsamt verlangte „Verwertung von Vermögen“, das einer angemessenen Alterssicherung dient, unzumutbar sei. Gestern kommentierte der Anwalt der drei erfolgreichen Kläger, Detlev Driever, zusammen mit zwei Mitarbeitern der Arbeitslosen-Beratungsstelle ‚Agab‘ diese Gerichtsentscheidungen.
In einem Fall handelt es sich um einen langzeitarbeitslosen Lehrer. Der 51-Jährige pflegt seine schwerbehinderte Mutter und hat sich eine Lebensversicherung von rund 12.000 Euro angespart. Das Arbeitsamt lehnte seinen Antrag auf Arbeitslosenhilfe deshalb ab: Sein Vermögen liege knapp 2.000 Euro über dem erlaubten Satz. Hintergrund dieses Bescheides ist eine seit Januar 2003 gültige Regelung, nach der Arbeitslosenhilfebezieher nur noch 200 Euro pro Lebensjahr – im Fall des Lehrers also gut 10.000 Euro – behalten dürfen. Theoretisch also müsste der Lehrer seine Versicherung auflösen, den Verlust daraus selbst tragen, sich mit den 2.000 Euro, die er ‚zuviel‘ besitzt, zwei Monate über Wasser halten, um dann eben doch Arbeitlosenhilfe zu beziehen. „Sozialpolitscher Unsinn“, sagt dazu Thomas Beninde von der Arbeitslosenberatung. Und Anwalt Driever fügt hinzu: „Es ist im öffentlichen Interesse, dass die Leute privat vorsorgen und nicht sehenden Auges in den Sozialhilfebezug geschickt werden“. Denn soviel ist klar: der arbeitslose Lehrer, er hat lediglich sein Referendariat gemacht und dann keine Stelle bekommen, würde aus der gesetzlichen Rentenkasse nur einen Bruchteil seines Lebensunterhalts bestreiten können und als Rentner in die Sozialhilfe absteigen.
Ähnlich wäre es wohl im zweiten Fall: Hier hat eine Frau mit typisch weiblichen Unterbrechungen in der Erwerbsbiografie geklagt. Ein bisschen anders liegt der Fall eines ehemaligen Klöckner-Mitarbeiters, der zwar Rentenansprüche erworben hat, aber eben auch privat dazugespart hat. „Das ist auch richtig so, denn das Niveau der gesetzlichen Rente wird sinken“, prophezeit Anwalt Driever. Auch für diese Menschen sei die eigene Vorsorge unabdingbar.
Das haben die Politiker in Berlin ja im Prinzip auch begriffen. „Aber während sie mit der einen Hand die Riester-Rente basteln, nehmen sie sie den Leuten mit der anderen wieder weg“, beklagt Arbeitslosenberater Martin Lühr den paradoxen Gesetzes-Zustand. „Handwerklichen Murks“, nennt er das, hinter dem auch das Hartz-Konzept und die neue Arbeitsmarktpolitik stecke. Denn künftig soll ja spätestens nach einem Jahr auf das Arbeitslosengeld – hier spielt das Vermögen des Arbeitslosen überhaupt keine Rolle – das sogenannte Arbeitslosengeld II folgen. Und das wird konzeptionell viel näher an der Sozialhilfe als am Arbeitslosengeld ausgerichtet sein.
Mindestens in puncto Altersvorsorge scheint dieses Konzept aber nicht aufzugehen. Die Entscheidung des Bremer Gerichts, so Anwalt Driever „macht Hoffnung“. Da es sich bei den drei Fällen um Eilentscheidungen handelt, ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Zudem rechnet Driever fest mit einer Beschwerde des zuständigen Bremer Arbeitsamtes. Am Ende werde die Sache vor dem Bundessozialgericht landen. „Aber auch da bin ich guter Dinge“, sagt Driever. Dies habe bislang immer im Sinn einer vorausschauenden Altersplanung entschieden. Allen Betroffenen rät er deshalb, den vom Arbeitsamt verlangten Ausverkauf der Alterssicherung nicht widerspruchslos hinzunehmen. Elke Heyduck
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