: FDP-Ausflug an den Stammtisch
Der FDP-Fraktionschef Martin Lindner vergleicht den PDS-Abgeordneten Marian Krüger mit dem Vorsitzenden des NS-Volksgerichtshofs, Roland Freisler. Es folgten Aufruhr – und eine Entschuldigung
VON FELIX LEE
Über den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU, Klaus Landowsky, lässt sich viel streiten. Aber in einem Punkt war er unangefochten Spitze: Er brachte Stimmung in die Bude.
In seine Fußstapfen scheint manch einer im Abgeordnetenhaus treten zu wollen. Aber nur den wenigsten gelingt Polemik ohne Nachwehen. Jüngstes Beispiel: der haushaltspolitische Sprecher der PDS-Fraktion, Marian Krüger. Krüger hatte am Donnerstag in einer recht böswilligen Rede den zwei oppositionellen Fraktionsvorsitzenden vorgeworfen, sich mit der angestrebten zweiten Verfassungsklage (die taz berichtete), auf „schäbige Weise an der Demontage der Berliner Interessen“ zu beteiligen. Von der Sabotage der Zukunft dieser Stadt war die Rede. Krügers Rede, räumte selbst der Grüne Fraktionschef Volker Ratzmann ein, hatte Landowsky-Niveau. Denn auch der langjährige CDU-Politiker hatte Teile der Opposition immer wieder als Berlins Feinde beschimpft.
Da ein Landowsky-Vergleich aus bürgerlicher Sicht nicht wirklich als Beleidigung empfunden wird, verwendete der FDP-Fraktionsvorsitzende Martin Lindner dagegen Vergleiche, die selbst einen hartgesottenen PDS-Genossen schmerzen dürften. Nicht im Parlament, dafür in der RBB-„Abendschau“. Lindner beteuerte zunächst einmal, was für ein schwerer Schritt es für die FDP gewesen war, sich für eine zweite Verfassungsklage zu entscheiden. Besonders unverschämt sei deshalb die Kritik von Regierungsvertretern gewesen, „so von einem PDS-Abgeordneten, der uns in der Manier eines Roland Freislers Schäbigkeit und Ehrlosigkeit vorgeworfen hat“.
Das saß. Denn bei dem Namen Roland Freisler denkt nicht nur der Antifaschist Krüger an das fürchterliche fanatische Geschrei eines NS-Funktionärs, der von 1942 bis 1945 als Präsident des Volksgerichtshofs tausende von Todesurteilen zu verantworten hat, unter anderem die Hinrichtung der Geschwister Scholl und der Hitler-Attentäter des 20. Juli. Für seine Hetzreden und Demütigungen der Angeklagen war Freisler berüchtigt.
Und so soll Marian Krüger von der PDS am Donnerstag auch geredet haben? Zunächst einmal brachte Lindners Nazi-Vergleich alle Fraktionen auf die Palme. Ungeheuerlich fanden die Vorsitzenden diese Äußerung und verlangten eine Entschuldigung. Der PDS-Fraktionsvorsitzende Stefan Liebich sprach von Vergleichen mit einem „Blutrichter“, die sich von selbst verböten. Krüger selbst findet, dass sich „Dr. Lindner ein weiteres Mal als nicht satisfaktionsfähig“ erweise. Und auch Lindners Parteifreundin Mieke Senftleben glaubt, dass ihrem Vorsitzenden in dem Moment „die Pferde durchgegangen sind.“ Am lautesten kritisierte Grünen-Chefin Sibyll Klotz: Die FDP müsse sich überlegen, ob sie als liberale Fraktion Lindner noch halten könne.
Lindner selbst hat seine Äußerung inzwischen als Fehler bezeichnet und beteuert, dass es keineswegs seine Absicht gewesen sei, irgendeinen PDS-Abgeordneten zu beleidigen. Und dennoch findet er, dass Krüger „in einer Tirade über die Opposition hergezogen“ sei, die dem Anlass nicht angemessen war.
Einsichtig will er sein, ist es irgendwie aber doch nicht. Zumindest darin unterscheidet sich der FDP-Politiker von Klaus Landowsky. Der konnte im Zweifel auch loslassen.
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