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Liberias Rebellen wollen Hauptstadt erobern

Demonstranten in Monrovia fordern das Eingreifen der USA. Die humanitäre Lage wird immer dramatischer

BERLIN taz ■ Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. In Ghanas Hauptstadt Accra besprachen gestern rund 1.000 Delegierte einen Friedensplan für Liberia; die Konferenzleitung hoffte auf ein Ergebnis noch im Laufe des Dienstags. In Liberias Hauptstadt Monrovia flohen gestern zehntausende von Menschen vor eskalierenden Kämpfen zwischen der Regierungsarmee von Präsident Charles Taylor und der Rebellenbewegung Lurd (Vereinigte Liberianer für Versöhnung und Demokratie), die nach Regierungsangaben in den vergangenen Tagen über 700 Tote gefordert haben. Die Lurd will Monrovia erobern, bevor Liberias politische Fraktionen in Accra das vorliegende Friedensabkommen billigen. Denn der Abkommensentwurf schließt die Lurd, die rund die Hälfte Liberias kontrolliert und als extem brutal gilt, von der geplanten Übergangsregierung aus, die Liberia nach dem gewünschten Rücktritt Taylors zu freien Wahlen führen soll.

„Wir müssen Monrovia komplett einnehmen“, erklärte Lurd-Führer Sekou Conneh, der an der Friedenskonferenz nicht selbst teilnimmt. Einmal Herr der Hauptstadt, werde die Lurd die Beschlüsse der Accra-Friedenskonferenz „berücksichtigen“.

Angesichts dieser Zuspitzung wird die Entsendung internationaler Eingreiftruppen nach Monrovia immer dringender. Nigeria, das etwa die Hälfte einer auf rund 1.500 Mann geplanten westafrikanischen Eingreiftruppe stellen soll, erklärte schon vor Tagen, seine Soldaten seien abmarschbereit. Aber sie kommen nur, wenn die USA gleichzeitig Truppen in Bewegung setzen. Nach allgemeiner Einschätzung aber wird das mindestens zwei Wochen dauern. Die US-Marine hat Kriegsschiffe mit 4.500 Soldaten und Marines an Bord vom Horn von Afrika ins Mittelmeer geschickt – sie müssen Westafrika erst erreichen. Lediglich zum Schutz der US-Botschaft in Monrovia sind mehrere Dutzend US-Spezialkräfte gekommen; weitere 100 US-Soldaten stehen als Verstärkung im Nachbarland Sierra Leone.

Die Bevölkerung von Monrovia ist das Warten auf die erhoffte Rettung von außen satt. Nachdem schwerer Artilleriebeschuss durch die Rebellen am Montag 25 zivile Opfer unmittelbar neben dem US-Botschaftsgelände forderte, reihten wütende Überlebende vor der Botschaft die Leichen in Sichtweite der US-Marines auf und riefen: „Wir sterben!“ Der Raketenbeschuss führte zur Einstellung großer Teile der humanitären Hilfe.

Nach UN-Schätzungen gibt es in Monrovia, normalerweise eine Stadt mit einer Million Einwohnern, 200.000 Kriegsvertriebene in Lagern, dazu 300.000 in Privatunterkünften und 50.000 am Stadtrand. Im Stadion von Monrovia leben seit einem Monat 33.000 Vertriebene, die notdürftig vom Internationalen Roten Kreuz mit Grundrationen versorgt werden – 22,4 Kilo Maismehl und 2,8 Kilo Bohnen pro Familie und Monat. Laut UNO ist die Zahl der Cholerafälle pro Woche in Monrovia von 30 vor einem Jahr auf 350 gestiegen und steigt weiter. Lebensmittelpreise hätten sich verdreifacht. Vergewaltigungen, Plünderungen und Entführungen seien an der Tagesordnung.

DOMINIC JOHNSON

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