piwik no script img

Ratlos aus den Miesen

Arbeitsagenturen streichen wegen Hartz IV Zuschüsse für Schuldnerberatungen. Die Diakonie Recklinghausen muss ihr Angebot einstellen. Leidtragende sind verschuldete Arbeitslose

VON HOLGER PAULER

Die Umsetzung von Hartz IV zum 1. Januar 2005 sorgt bereits jetzt für tiefe Einschnitte im sozialen System. Die Diakonie im Kreis Recklinghausen muss zum 30. Juni ihre Schuldnerberatung in den Arbeitsämtern einstellen. Der Grund: Die Agentur für Arbeit streicht die Zuschüsse. Betroffen sind die Beratungsstellen in den Arbeitsämtern Datteln, Dorsten, Herten, Marl und Recklinghausen. „Wir haben keine Mittel, um die Beratungen aufrecht zu halten“, sagt Ingrid Liberty vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche von Westfalen. Die Klienten müssen sich ab dem ersten Juli an die Beratung der Kommunen wenden.

Die Kommunen rechnen mit Verschlechterungen. „Die Bearbeitungszeiten werden länger“, sagt Horst-Dieter Tabak, Leiter des Fachbereichs Arbeit, Soziales und Wohnen der Stadt Recklinghausen. Der Service könne nicht mehr im gewohnten Umfang geleistet werden. Mit der Umsetzung von Hartz IV soll in den Agenturen für Arbeit die Schuldnerberatung neu organisiert werden. Das Angebot wird zudem nur noch Beziehern des neuen, aus der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe entstandenen Arbeitslosengeldes II zur Verfügung stehen. Ein weiteres Problem: Als anerkannte Beratungsstelle kann die Diakonie im Gegensatz zu anderen Anbietern das Insolvenzrecht vor Gericht einleiten.

Michael Wiese, Pressesprecher der Diakonie Recklinghausen, befürchtet, dass es vor allem in der Übergangszeit bis zum Einsetzen von Hartz IV große Probleme geben wird: „Die Leute haben ein Vertrauensverhältnis zu ihren Beratern aufgebaut, das bricht nun alles weg.“ Er kritisiert, dass die Arbeitsagentur im Kreis Recklinghausen keine Unterstützung für den Übergang anbietet. „Anscheinend werden hier andere Prioritäten gesetzt.“ Peter Sölter, Sprecher der Arbeitsagentur im Kreis Recklinghausen, sieht das anders: „Es ist der Diakonie seit letztem Jahr bekannt, dass die Förderung zum 30. Juni ausläuft, offensichtlich hat da jemand geschlafen.“ Die Bundesagentur für Arbeit hat mit Hinblick auf Hartz IV die Förderung für alle Träger eingestellt. „Landesweit gibt es nur im Raum Aachen eine Ausnahmeregelung“, sagt Jürgen Sevecke, Vorstand im evangelischen Fachverband für Schuldnerberatung der Diakonie im Rheinland. Etliche Diakonien mussten in der Vergangenheit wegen des Wegfalls der Förderungen ihre Beratungs-Angebote einstellen.

Die sozialpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Barbara Steffens, kritisiert die Praxis der Arbeitsagenturen. Der Übergang bis zu Hartz IV werde noch für viele Probleme sorgen. „Die Klientel der Agenturen wird im nächsten halben Jahr nicht bedient.“ Arbeitslosengeld-Empfänger bekämen keine Beratung mehr, obwohl gerade dort die Verschuldung oftmals sehr hoch sei. „Es werden funktionierende Strukturen zerschlagen, die hinterher wieder mühsam aufgebaut werden müssen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen