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„Man kann die Leute nicht belügen“

Der Europachef von Europas größtem Kommunikationskonzern Publicis hält die deutsche Politik für visionslos und defensiv. Um den Standort Deutschland nach innen und außen attraktiv zu machen, brauche man aber ein gemeinsames Zukunftsprojekt

Interview: STEFFEN GRIMBERGund BEATE WILLMS

taz: Herr Naouri, der Ruf des Standorts Deutschland ist nicht der beste. Ihr Unternehmen gehört zu den erfolgreichsten der Werbebranche. Wie würden Sie das Land verkaufen?

Jean-Yves Naouri: Ich bin relativ neu in Deutschland und lerne noch. Von außen habe ich den Eindruck, dass Deutschland lange sehr um seine Wiedervereinigung gekämpft hat und sich, nachdem diese erreicht ist, eine Pause gönnt.

Das ist zwar noch kein Verkaufsslogan, klingt aber sehr entspannt …

Gar nicht. Was ich sagen möchte, ist: Dem Land fehlt ein Ziel. Man braucht aber ein Sinn stiftendes Projekt, an dem sich alle orientieren können: die Politik und der Einzelne. Es ist übrigens kein rein deutsches Problem, es ist ein europäisches. Künftig werden wir eine gemeinsame Verfassung haben und spannende neue Länder in der Europäischen Union. Dafür haben wir Jahrzehnte gearbeitet. Aber was kommt dann? Wohin streben wir für unsere Kinder und Enkel? Die Reform der Agrarmärkte, die Integration sind konkrete politische Aufgaben, aber nicht unbedingt Sinn stiftende Projekte.

Sie haben einmal gesagt, Deutschland sei die große Erfolgsstory des 20. Jahrhunderts. Warum ist es uns nicht gelungen, das zu verinnerlichen?

Gegenfrage: Was halten Sie für die wichtigste Aufgabe der nächsten Zeit?

Das Beschäftigungsproblem zu lösen, Arbeit neu zu definieren, eine nachhaltige Politik zu entwickeln …

Klingt das für Sie spannend? Oder nicht eher negativ? Sie reden immerhin vom Abbau von Arbeitsplätzen und von der Zerstörung der Umwelt.

Reicht es nicht als Vision, wenn die Bundesregierung sagt: Wir sorgen dafür, dass künftige Generationen hier gesichert leben können?

Ich verstehe das anders: Die Regierung versucht ein System zu retten, das sie nicht finanzieren kann. Das ist defensiv.

Sie werben viel für politische Vorhaben – wie etwa mit der Eurokampagne – und politische Auftraggeber. Bedeutet das mehr Verantwortung, als wenn Sie klassische Produktwerbung für Unternehmen machen?

Nein, beides ist gleich verantwortungsvoll und gleich riskant. Man kann Menschen nicht belügen. Wenn wir für ein börsennotiertes Unternehmen arbeiten und eine Story entwickeln, sind wir auch gegenüber den Anteilseignern in der Pflicht – genauso wie gegenüber den Stakeholdern und den Beschäftigten.

Die Krise hat auch die Werbemärkte getroffen. Sehen Sie ein Ende der Depression?

Unsere Spezialisten prognostizieren, dass Deutschland zum Jahresende besser liegen dürfte als im Jahr zuvor. Und 2005 könnte dann ein richtig gutes Jahr für Europa werden. Zumal die Menschen doch weiterhin einkaufen, das Vertrauen der Verbraucher bleibt sehr solide. Wenn sie ernst nähmen, was sie in den Zeitungen lesen oder im Fernsehen sehen, dürften sie ihr Geld nur noch sparen.

Welche Rolle spielt dabei jetzt wieder die Politik?

In so einer Situation muss die Politik Vertrauen in die Zukunft schaffen, damit die Unternehmen am Ball bleiben. Die investieren momentan nur minimal in Werbung. Aber wenn sie wieder Vertrauen schöpfen würden, stiegen auch die Ausgaben, es ergäbe sich ein positiver Regelkreis. Doch es läuft umgekehrt: Die Werbekampagnen werden gestrichen, Arbeitsplätze abgebaut. Alle haben Angst vor der Zukunft, alle versuchen, ihre Kosten zu reduzieren – das ist eher ein Teufelskreis.

Eine Möglichkeit, zu sparen und trotzdem zu werben, sind weltweit einheitliche Kampagnen. Gibt es einen Trend dorthin?

Wenn wir einem Kunden eine weltweite Kampagne anbieten können, machen wir das. Aber nicht auf Teufel komm raus. Es gibt viele Beispiele, wo die Konsumenten nicht auf länderübergreifende Werbung reagieren, weil es um ein ganz anderes Lebensgefühl geht. Zum Beispiel Mercedes: Außerhalb Deutschlands ist das eine Luxusmarke, hier ist es eine Marke unter vielen. Zum Beispiel Bier: In einigen Ländern ist Heineken eine Premium-Marke. In Deutschland sieht das anders aus, in Großbritannien auch: Da ist Heineken ein Massenprodukt im unteren Preissegment.

Wie eng ist die Symbiose aus Werbe- und Medienwirtschaft?

Wir sind voneinander abhängig. Um unsere Kunden zu beraten, müssen wir alle Medien genau kennen: Inhalte, Zielgruppen uns so weiter. Und wir brauchen eine möglichst starke, vielfältige Medienlandschaft, um unseren Kunden die besten Werbemöglichkeiten zu bieten.

In Deutschland liegt der Medienmarkt aber darnieder.

Deswegen verfolgen wir die aktuelle Situation sehr genau. Ich hoffe, dass die Probleme hier kurzfristiger Natur sind und dass die Wirtschaft wieder anzieht. Die Ausgangssituation ist doch alles andere als schlecht: Sie haben mehr TV-Kanäle und Radiostationen als Frankreich, und in Deutschland wird mehr gelesen.

Was machen die deutschen Medienunternehmen falsch?

Es mag Sie überraschen: Aber selbst für einen Franzosen wäre es arrogant, hierzu einen Kommentar abzugeben.

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