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Verlaufen im grünen Wald von New York

Schwule im Klassikmilieu: Ventura Pons’ Film „Früchte der Liebe“ ist die kopfschräge Karikatur eines Dramas

Paul ist ein Musikstudent aus gutem Hause. Tagüber übt er am Klavier, nachts träumt er, Konzerpianist zu werden. Um Konzerterfahrung zu sammeln, geht er anderen Pianisten beim Pianospiel zur Hand – als Notenblattumblätterer. Nun ist die Notenblattumblätterei eine durchaus respektable Tätigkeit, die dem Konzertpianisten ein verzögerungsfreies Spiel garantiert, doch unter Pianisten wird der Umblätterer nur selten für sein hilfreiches Tun geschätzt. Umso mehr ist Paul also überrascht, dass ausgerechnet sein großes Vorbild Richard Kennington ihn mit geradezu zuvorkommender Freundlichkeit bedenkt. Als Paul ihn während einer Europareise per Zufall in Barcelona trifft, kommt es schließlich, wie es kommen muss: Paul verliebt sich in Kennington, und Kennington verguckt sich in Paul, was der spanische Regisseur Ventura Pons wiederum zum Anlass nimmt, die amouröse Verwicklung mit postkartentauglichen Barcelona-Impressionen zu verzieren.

Was jedoch wie ein Porträt über Schwule im Klassikmilieu beginnt, entwickelt sich zusehends zu etwas völlig anderem – wenn auch schwer zu sagen ist, um was es dabei eigentlich geht. Fest steht jedenfalls, dass die Barcelona-Impressionen bald durch New-York-Bilder ersetzt werden, was Pauls Mutter Pamela ins Zentrum rückt, die laut Handlung jedoch im fernen San Francisco wohnt. Trotz einer gewissen geografischen Widersprüchlichkeit scheint das allerdings insofern vernünftig, als Pamela von der großartigen Juliet Stevenson gespielt wird, die man erst kürzlich in „Kick It Like Beckham“ in einer ähnlichen Rolle sah. Pamela hat nun vor allem die Aufgabe, sich über alles unentwegt Sorgen zu machen: Sorgen über Weihnachten, Sorgen über Paul, Sorgen über seine Karriere und ihre Frisur. Paul hingegen führt in seiner Studentenbude sorglos interessante Gespräche, zum Beispiel über E. M. Forsters „Maurice“ und den grünen Wald als literarisches Symbol für Homosexualität. Trotz oder auch wegen solch tief schürfender Erörterungen gelingt es Kevin Bishop, den Paul mit nur einem einzigen Gesichtsausdruck zu spielen.

Bemerkenswert ist überdies, dass all die mittelalten Männer aus dem Kunstbetrieb, zu denen Paul inzwischen Beziehungen unterhält, zufälligerweise alle in dem gleichen Haus residieren. Der eine ist dabei übrigens der Manager und Freund von Kennington, den Ventura Pons nur umständlich über die tragische Geschichte eines verstorbenen Haustieres einzuführen versteht. Und wo ist eigentlich Kennington? Wahrscheinlich auf Konzertreise. Schon nach der ersten halben Stunde ward er nicht mehr auf der Leinwand gesehen. Wie man aus den Produktionsnotizen erfährt, hat Ventura Pons für seine „Früchte der Liebe“ die streng chronologische Erzählweise gewählt, weil sie zu einem besseren Verständnis der Geschichte verhilft. Doch was ist, wenn der Film eigentlich gar keine verständliche Geschichte hat? Wenn der Film entgegen der aufrichtigen Einschätzung seines Regisseurs vielmehr aus einer Aneinanderreihung von Szenen besteht, die eine Entwicklung nur behaupten und nicht wirklich vermitteln? Was ist, wenn die Protagonisten trotz allerlei Schauspielkunst keine Charaktere werden, sondern nur Figuren bleiben?

Das ist dann weiter nicht schlimm. Allerdings darf man den Film dann nicht als das sehen, was er sein möchte, sondern als das, was er tatsächlich ist: eine kopfschräge Karikatur von einem Drama, die besonders dann zu Hochtouren aufläuft, wenn Pamela in Pauls Weihnachtsgepäck ein Schwulenmagazin entdeckt und sich anschließend in der Selbsthilfegruppe darüber aufklären lässt, wie das mit dem Safer Sex eigentlich funktioniert. Das ist große Kunst wider Willen. HARALD PETERS

„Früchte der Liebe“. Regie: Ventura Pons. Mit Kevin Bishop, Juliet Stevenson, Paul Rhys u. a. Spanien/Deutschland 2001, 112 Min.

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