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Gentechnik erobert Brasilien

Das größte Land Lateinamerikas ist der letzte nennenswerte Produzent von sauberer Soja außerhalb Europas – aber nicht mehr lange

AUS PORTO ALEGRE GERHARD DILGER

Mario Mugnaini hatte einen überraschenden Plan: Auf den deutsch-brasilianischen Wirtschaftstagen schlug der Mann von der staatlichen Außenhandelskammer am 21. Juni in Stuttgart vor, Brasilien könne eigene Anbaugebiete und Hafenanlagen für gentechfreies Soja ausweisen. Für „100-prozentige Nicht-Gensoja“ müssten die Europäer aber einen Aufpreis zahlen und langfristige Lieferverträge abschließen.

Am gleichen Tag am anderen Ende der Welt: China hebt das Einfuhrrmbargo auf, mit dem es 23 brasilianische Sojahandelsfirmen belegt hatte. Seit Ende April hatte Peking fünf Schiffsladungen aus dem südlichen Bundesstaat Rio Grande do Sul zurückgewiesen, weil sie pestizidbelastetes Saatgut enthielten. Ursache dafür: Die brasilianischen Bauern hatten heimlich pestizidbelastetes konventionelles Saatgut unter die Fuhren gemischt. Das Saatgut war übrig geblieben, weil sie bereits im letzten Jahr trotz offiziellen Verbots Gentechsamen auf die Äcker gebracht hatten.

Die zeitgleichen Ereignisse zeigen: Brasilien, der weltweit letzte große Produzent von gentechnikfreier Soja außerhalb Europas, läuft derzeit gerade ins Lager der Gentech-Anwender über. Der Anbau von Gensoja verspricht den Bauern Kostenvorteile. Also säen sie Gentechnik aus. Daran hinderte sie auch ein offizielles Verbot nicht. Im letzten Jahr beugte sich die Regierung Lula dann der Kraft des Faktischen. Und legalisierte kurzerhand die Ernte aus dem illegal gesäten Saatgut. Der Trend zur brasilianischen Gensoja ist damit nicht mehr aufzuhalten. Und Europa verliert im globalen Ringen um Anbauflächen und Absatzmärkte für die grüne Gentechnik seinen wichtigsten Importmarkt für gentechfreies Tierfutter.

Soja ist Brasiliens wichtigster Devisenbringer. Im vergangenen Jahr schlugen die Exporte von Bohnen, Schrot und Öl mit über 8 Milliarden Dollar zu Buche. Es waren die Bauern aus Rio Grande do Sul und Minister Roberto Rodrigues, die Präsident Luiz Inácio Lula da Silva im September zur vorläufigen Freigabe von Gensoja gedrängt hatten. Ihr stärkstes Argument: Gensoja sei rentabler und die Skepis der Europäer schlage sich nicht in höheren Preisen für konventionelles Soja nieder. UmweltschützerInnen, Nichtregierungsorganisationen von Verbrauchern und die Landlosenbewegung MST mussten erkennen: Die von ihnen unterstützte Regierung ist in der Logik des Weltmarkts gefangen, die Soja-Dollars werden für den Schuldendienst gebraucht.

Soja ist ein Produkt der Globalisierung. Vor knapp hundert Jahren brachten japanische Einwanderer die proteinhaltigen gelben Bohnen mit, die in den letzten vierzig Jahren von Rio Grande do Sul aus ihren Siegeszug antraten und mittlerweile den Amazonas-Urwald bedrohen. Seit 1997 verwenden Bauern im Süden das aus Argentinien eingeschmuggelte Saatgut mit Spitznamen wie „Maradona“ oder „Mercedes 70“. „Im Vergleich zum herkömmlichen Anbau spare ich ein Drittel der Produktionskosten“, sagt der Landwirt Hamilton Jardim aus Palmeira das Missões, einer Kleinstadt gut 400 Kilometer nordwestlich von Porto Alegre. Einmal im Jahr spritzt er seine Felder mit dem Monsanto-Pflanzengift „Roundup“. Noch wird es besser mit dem Unkraut fertig als herkömmliche Herbizide, die bereits drei- oder viermal appliziert werden müssen. Die Wissenschaftler des US-Multis haben der Soja vom Typ „Roundup Ready“ ein Gen eingepflanzt, das es gegen das Gift aus dem eigenen Hause resistent macht. In Rio Grande do Sul sind über 80 Prozent der gesamten Produktion gentechnisch verändert, und Monsanto kassiert bereits für jeden Sack Soja eine Gebühr von umgerechnet 16 Cent.

Der Trend zur Gensoja sei nicht mehr aufzuhalten, meinen Jardim und der Sojahändler Antonio Sartori aus Porto Alegre übereinstimmend, jetzt müsse nur noch die Gesetzeslage endgültig geklärt werden. Und hier hoffen Gentechgegner wie der linke Bundesabgeordnete Adão Pretto und die Agronomin Flavia Londres von der Kampagne für ein genfreies Brasilien auf Schadensbegrenzung.

Die drohende Abhängigkeit der brasilianischen Bauern von dem Monsanto-Saatgut bezeichnet Pretto als „Desaster“, verweist aber entschuldigend auf die „komplizierten Kräfteverhältnisse“ innerhalb der Regierung. Um seine Ministerin Marina Silva zu halten, werde sich Lula dafür einsetzen, dass das Umweltministerium künftig bei der Freigabe von gentechnisch veränderten Organismen mitentscheiden darf, glaubt Londres.

„Bei der Soja ist der Zug wohl abgefahren“, räumt sie ein, doch selbst hier sei zu differenzieren: Anders als in Rio Grande do Sul dominiert im übrigen Brasilien noch die konventionelle Soja. Im Bundesstaat Paraná, wo die meisten Sojalieferungen nach Europa verschifft werden, versucht Gouverneur Roberto Requião mit strengen Kontrollen, die Hafenanlagen von Gensoja freizuhalten. Auch in der Agrarhochburg Mato Grosso, die von „Soja-König“ Blairo Maggi regiert wird, hoffen die Farmer darauf, dass die im Vergleich zum Gensoja-Anbau höheren Produktionskosten durch entsprechende Preise ausgeglichen werden. Die Ausweisung von gentechfreien Zonen im brasilianischen Mittelwesten sei schwierig, aber machbar, meint Flavia Londres. Für Unternehmer Lovatelli drängt die Zeit: „Wenn die Deutschen die herkömmliche Soja wollen, muss das Abkommen schnell unter Dach und Fach gebracht werden. Wir haben noch zwei, drei Ernten, dann ist Gensoja überall.“

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