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lost in lusitanienEin Otto geht um die Welt

MATTI LIESKE über Otto, den Vater aller Siege, seine Otto-Show und die ottomanische Globalisierungstheorie

In den Gebäuden der Wall Street herrscht plötzlich atemlose Stille, die Japaner verschlucken sich an ihrer Nudelsuppe, und die Brasilianer lassen vor Schreck ihre Caipirinha kalt werden. Konsterniert sehen sich die Menschen überall auf der Erde an und wiederholen fassungslos immer nur den einen Satz: „Otto hat die Franzosen weggehauen!“ So zumindest stellt der Fußballtrainer Rehhagel sich das vor.

Otto Rehhagel hatte eine Botschaft nach dem sensationellen 1:0-Sieg seines griechischen Teams im Viertelfinale der Europameisterschaft gegen den Titelverteidiger aus Frankreich. Nur wurde er sie nicht los. Erst kam nämlich Angelos Charisteas, der Torschütze, nahm die Trophäe als bester Spieler des Matches in Empfang und bekam Fragen gestellt, die er ausführlich beantwortete. Frage auf Englisch, Übersetzung ins Griechische, Antwort auf Griechisch, Übersetzung ins Englische. Das dauerte. Otto Rehhagel saß derweil daneben und platzte schier vor Ungeduld, zumal sein Stürmer auch noch ein paar Dinge sagte, die eigentlich er sagen wollte: Segen für den griechischen Fußball. Stolz. Chance, sich einen Namen zu machen. Geschichte geschrieben. Auf das nächste Spiel konzentrieren. Noch große Dinge vor. Was man eben so sagt in solchen Fällen. Dann endlich die Erlösung. „Eine Frage an den Coach“, begann jemand, Rehhagel knipste seine innere Festbeleuchtung an und schon begann die Otto-Show.

„Diese Nachricht geht um die Welt“, raunte Rehhagel sybillinisch, „in New York, Rio de Janeiro, Tokio werden die Leute aufhorchen.“ Und natürlich Otto preisen, nicht nur der Vater aller Siege, sondern nun auch Begründer der ottomanischen Globalisierungstheorie. Danach versetzte er die internationale Presse mit seiner Standardfloskel, dass er niemals über seine Strategie rede, in große Heiterkeit – worüber soll ein Fußballtrainer sonst reden? – und ging schließlich dazu über, einmal mehr zu erläutern, wie er in Griechenland lauter Individualisten deutsche Disziplin und Spiez-verdächtigen Teamgeist beigebracht habe. „Früher hat jeder gemacht, was er wollte, jetzt macht jeder, was er kann.“ Jeder nach seinen Fähigkeiten, alle nach Ottos Bedürfnissen, sozusagen. Der Sieg sei das Resultat von drei Jahren Arbeit, in dieser Zeit habe sich eine Mannschaft entwickelt, die seine Strategie – über die er nicht redet – nun gegen Frankreich perfekt und mit Leidenschaft umgesetzt habe. Davon, dass muss man Otto Rehhagel uneingeschränkt bescheinigen, beißt die Maus kein Jota, kein Alpha, kein Beta und auch kein Omega ab. Die Griechen spielten sehr, sehr gut – konzentriert, kampfstark, lauffreudig und mit einer vorzüglichen Spielanlage.

Die eigentliche Sensation war trotzdem nicht das Spiel des Außenseiters, sondern die jämmerliche Vorstellung der Franzosen, denen der Esprit früherer Tage komplett abhanden gekommen war. Gegen die als Defensivbollwerk berüchtigten Griechen spielten sie selbst ängstlich mit einer massiven Abwehr, außer den beiden Stürmern Henry und Trezeguet sowie Zidane und gelegentlich der indisponierte Pires traute sich kaum jemand über die Mittellinie. Tatsächlich waren Rehhagels Hellenen angriffslustiger als das mit berühmten Offensivspielern gespickte Team des Titelverteidigers. Vorn war Henry bis zur Einwechslung von Saha komplett allein, weil Trezeguet wie schon in den Spielen zuvor unsichtbar blieb, im Mittelfeld verließ sich alles auf Zidane. „Mal sehen, was er jetzt Tolles macht“, schienen sie zu denken, wenn er den Ball hatte, und standen wie unbeteiligte Zaungäste um ihn herum. Anspielstationen gab es kaum, dringend fehlte Zidane ein zweiter kreativer Kopf an der Seite – der von Trainer Jacques Santini verschmähte Johan Micoud zum Beispiel, oder wenigstens Steve Marlet, der aber auf der Bank blieb.

Genauso lahm wie die Performance seines Teams war die von Santini nach dem Match. Wie ein übernächtigter Nachrichtensprecher leierte er seine wenig erhellenden Statements herunter. Ausgerechnet technische Defizite für die uninspirierte Darbietung seiner Weltstars verantwortlich zu machen, war schon unfreiwillige Komik. Auch die positive Bilanz, die er für seine zweijährige Amtszeit zog, welche nach dem WM-Debakel begann, hat er exklusiv. Vermutlich nicht nur Micoud dürfte heilfroh sein, dass Santini künftig Tottenham Hotspur beglückt, wo er vermutlich sogar den Abstieg noch als schönen Erfolg feiern wird. Geradezu unverschämt den Griechen gegenüber war seine Behauptung, diese hätten mit zehn Mann vor ihrem Torwart gestanden – eine Einschätzung, die allenfalls für die Schlussphase zutraf. Mehr Wahrheit enthielt da schon Rehhagels Satz aus der Mottenkiste altvorderer Fußballsprüche, dass eine Mannschaft immer so gut spiele, wie es der Gegner zulasse. „Und wir haben heute nicht so viel zugelassen.“ In New York, Rio de Janeiro und Tokio wird man darüber noch lange sprechen.

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