die taste für sabbler von FANNY MÜLLER:
Als ich mich über den Balkon lehne, sehe ich Frau K. unten im Garten sitzen und neben ihr auf dem Tisch an der langen Schnur das Telefon, aus dem es ununterbrochen quakt. Frau K. liest im Altonaer Wochenblatt und scheint das Telefon überhaupt nicht zu hören.
„Frau K.! Das Telefon!“ Sie guckt hoch. „Das is bloß Anneliese, die findet die Aus-Taste nich und jetz sabbelt die in einer Tour. Das geht schon ’ne halbe Stunde so.“ Anneliese Köster hat also ein Handy, du liebe Zeit! „Sie könn ruhig ma runterkommen und zuhörn. Jetzt singt sie gerade.“
Ich gehe nach unten in Frau K.s Garten und kriege gerade noch mit, wie Anneliese mit erstaunlich sicherer Stimme „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ zum Besten gibt, um dann zu einem Potpourri beliebter Melodien von Peter Maffay überzugehen. Ich lege den Hörer schnell beiseite und setze mich zu Frau K.
„Yvonne musste ja auch ’n Handy haben“, sagt Frau K. und legt die Zeitung auf den Tisch. Yvonne ist ihre Enkelin und schwer in der Pubertät. „Und unterm Arm rasiert sie sich jetzt auch, un denn will sie noch ’ne Diät machen“, fasst sie das ganze Elend zusammen.
„Herr Overdieck hat ja auch so’n Apparat“, sagt sie und faltet die Zeitung sorgfältig zusammen, weil sie sie noch nicht zu Ende gelesen hat. Da steht meistens drin, wie Trickbetrüger alte Menschen reinlegen, und das liest Frau K. mit dem größten Vergnügen, weil sie sich nie reinlegen lässt. Herr Overdieck ist kürzlich bei mir gegenüber in die Einzimmerwohnung gezogen und ist oft nicht zu Hause, tagsüber nicht und nachts schon gar nicht. „Und denn hat er mir die Telefonnummer gegeben, damit ich ihn anrufen tu, wenn ma was mit Handwerkern is oder so“, sagt Frau K.
Vor einer Woche war der Schornsteinfeger da und kam nicht in die Wohnung rein. Frau K. hatte Herrn Overdieck angerufen, aber da war eine Frauenstimme am Telefon, die Frau K. gefragt hatte, was denn so ihre Wünsche wären und womit sie sie denn verwöhnen könne. Da war Frau K. erst mal ganz schön geplättet und wusste gar nicht, was sie sagen sollte.
„Das war seine Freundin“, sagt sie, „die hat in der Stresemannstraße so’n …“, sie sucht nach dem Begriff, „… so’n, so’n Swinegelclub!“ Einen was? Frau K. erklärt sehr treffend: „Da treffen sich Leute, die Partnertausch machen.“ Ach so, sie meint einen Swingerclub! „Ja, so heißt das. Früher machten das ja nur Männer“, sagt Frau K., „aber heute, wegen der Ezam…, Emapi… also wegen der Gleichberechtigung, da machen die Ehefrauen das auch!“
Frau K. steht jetzt auf und legt energisch den Hörer auf die Gabel, nachdem sie vorher noch reingebrüllt hat: „Anneliese, aus is da, wo aus drauf steht!“ Sie selbst, sagt Frau K., während ich ihr in die Wohnung folge und die gefaltete Zeitung mit hineinnehme, würde ja lieber eine Domina sein, „mit Peitsche und so“, sagt sie mit glänzenden Augen, „und zum Schluss müssten die Kerle mein Badezimmer auffeudeln!“ Resigniert setzt sie aber hinzu: „Das kann sowieso keiner richtig. Unterm Waschbecken vergessen die immer.“
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